Die Legende der Wächter 10: Der Auserwählte (German Edition)
Wiedersehen.“
„Wiedersehen, Theo! Onkel Gränk schaut nach, ob mir schon Flugfedern wachsen. Vielleicht hab ich ja schon welche, wenn du wiederkommst!“
Gränk seufzte.
Theos bevorzugtes Jagdrevier war eine fast kreisrunde, von Birken umstandene Lichtung. Doch schon als er in den Landeanflug ging, spürte er, dass irgendetwas anders war als sonst. Dann vernahm er seltsame Töne. Er landete auf einer Kiefer und spitzte die Federohren. Das ist doch der Gesang der Glaux-Brüder!
Die Glaux-Brüder waren eine Gemeinschaft von Eulen, die sich der Gelehrsamkeit verschrieben hatten. Sie erforschten die großen Rätsel der Eulenwelt. Wer in ihre Gemeinschaft eintrat, musste ein Schweigegelübde ablegen. Viele Jahre hatten die Brüder in den Höhlen und Eisspalten am H’rathgar-Gletscher gelebt. Offenbar hatte der Krieg sie von dort vertrieben.
Theo verehrte die Glaux-Brüder. Früher einmal hatte er sich ihnen sogar anschließen wollen. Wie sie war er der Überzeugung, dass die Hägsdämonen den Bewohnern von N’yrthgar als Strafe geschickt worden waren, weil sie den Glauben an Glaux verloren hatten, und genau wie die Glaux-Brüder war Theo strikt gegen Krieg führen und Kämpfen. Aus diesem Grund hatte er sich auch geweigert, das erste Paar Kampfkrallen zu schmieden, als Gränk ihn darum gebeten hatte. Aber Gränk hatte Theo erklärt, der einzige Nachkomme von Königin Siv und König H’rath müsse um jeden Preis beschützt und verteidigt werden.
Nun hatten sich die Glaux-Brüder anscheinend auf der Insel niedergelassen. Das stürzte Theo in widerstreitende Gefühle. Er war noch immer gegen Waffen und Krieg, aber gleichzeitig fühlte er sich Gränk verpflichtet. Soll ich die Gelegenheit ergreifen und mich den Brüdern anschließen? Vielleicht entspricht ein zurückgezogenes Leben eher meiner Natur … Aber ich bringe es nicht über mich, Gränk und Hoole im Stich zu lassen. Was soll ich nur tun?
Doch Theo war nicht hergekommen, um zu grübeln. Der kleine Hoole brauchte etwas zu fressen. Theo beschloss weiterzufliegen. Hätte er hier auf der Lichtung eine Maus erbeutet, wäre das den Brüdern nicht verborgen geblieben. Zwar taten sie niemandem etwas zuleide, aber Gränk hatte Theo immer wieder eingeschärft: „Niemand darf wissen, dass wir hier sind!“ Gränk würde gar nicht erfreut sein, wenn Theo ihm berichtete, dass sie nicht mehr allein auf der Insel waren.
„Da bin ich wieder!“ Theo ließ die Wühlmaus auf den Boden der Baumhöhle fallen.
„Darf ich das Blut abschlecken?“
„Hoole! Was sagt man?“
„Danke schön, Theo.“
Gränk wäre beinahe herausgerutscht: „Ein Prinz muss seine Untergebenen respektvoll behandeln“, aber er biss sich auf die Zunge.
„Guck mal auf meiner rechten Schulter nach, Theo. Hat sich da schon was getan, während du weg warst? Kommt schon eine Flugfeder durch?“
„So schnell geht das nicht.“
Gränk spürte, dass seinen Gehilfen irgendetwas beunruhigte. Nach dem üppigen Mahl würde Hoole bestimmt einschlafen. Dann würde Gränk Theo fragen, was los war.
Hoole wurde tüchtig durchgeschüttelt, als die unverdaulichen Teile der Wühlmaus – Knochen, Zähne und Fell – in seinen zweiten Magen, den Muskelmagen, weiterbefördert wurden. Er gähnte herzhaft und kuschelte sich in sein Dunenlager. Obwohl ihm schon die Augen zufielen, fragte er: „Du, Onkel Gränk, wann bin ich endlich flügge?“
„Das habe ich dir schon so oft erklärt. Bei Fleckenkäuzen ist es frühestens zweiundvierzig Tage nach dem Schlüpfen so weit.“
„Und wann bin ich geschlüpft?“
„Vor zehn Tagen.“
„Dauert es von zehn bis zweiundvierzig lange?“
„Schlaf jetzt.“
„Das war keine Antwort!“
„Wir sprechen morgen Abend darüber, wenn du wieder aufwachst.“
Der kleine Eulerich gähnte noch einmal, dann war er eingeschlafen.
„Das heißt, wir sind nicht mehr die einzigen Eulen auf dieser Insel“, schloss Gränk. Das erste rosige Morgenlicht fiel in die Baumhöhle, aber Gränks Stimmung war alles andere als rosig.
„Weiterziehen können wir nicht, weil der Kleine noch nicht flügge ist. Und auch dann wird es noch lange dauern, bis seine Flügel kräftig genug für den Flug übers Meer sind.“
„Na ja … eigentlich war doch klar, dass wir nicht ewig hier allein bleiben würden“, erwiderte Theo. „Zum Glück sind es nur die Glaux-Brüder. Sie werden uns auf keinen Fall verraten. Das verbietet ihnen ihr Glaube. Außerdem verabscheuen sie Fürst
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