Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Legende der Wächter 2: Die Wanderschaft

Die Legende der Wächter 2: Die Wanderschaft

Titel: Die Legende der Wächter 2: Die Wanderschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Lasky
Vom Netzwerk:
warmen Aufwinde hatten die Eulen verführt, Mr s Plithivers Verbot zu missachten und sich mitten am Tag in Flugkunststücken zu üben. Aber am verdächtigsten waren Mr s Plithiver die spiegelnden Seen. Solch klares Wasser war für die vier Eulen etwas ganz Neues. Weder Schlamm noch Algen trübten es, man konnte sich hervorragend darin spiegeln. Von den vieren hatte nur Morgengrau schon einmal sein eigenes Spiegelbild gesehen, und das längst nicht so lebensnah und deutlich.
    Alles hatte angefangen, als Gylfie Soren darauf hinwies, dass sein Schnabel immer noch rußverschmiert sei von dem brennenden Stück Holz, das er auf den Luchs hatte fallen lassen. Daraufhin war Soren ans Seeufer geflogen, um sich zu säubern. Bis dahin hatte er Wasser immer nur zum Trinken un d – sehr selte n – auch zum Waschen genutzt. Aber als sein Blick nun auf die Seeoberfläche fiel, rief er entgeistert: „Papa!“
    „Das ist nicht dein Papa. Das bist du selber, Schatz“, hatte ihm Mr s Plithiver erklärt. Trotz ihrer Blindheit wusste sie über Spiegelbilder Bescheid, wie sie sich überhaupt mit vielem auskannte, was sie nicht sehen konnte. „Du hast dich wahrscheinlich noch nie mit fertigem Federkleid betrachtet, stimmt’s?“
    „Ich bin jetzt ganz weiß, wie Papa. Ich sehe richti g … richti g …“
    „ … hübsch aus?“
    „Na j a …“ Soren hatte ein verlegenes Glucksen unterdrückt.
    Beim ersten Mal war er noch verlegen gewesen, aber damit war schon lange Schluss. Mit seiner früheren Bescheidenheit auch. Seinen drei Freunden ging es nicht anders. Sie machten es ihm sofort nach und beugten sich bewundernd über die Wasseroberfläche. Und wenn sie ausnahmsweise nicht ihr Spiegelbild betrachteten, flogen sie über die Seen, beäugten im Wasser ihre Flugkünste und vollführten getragen von den Aufwinden waghalsige Loopings. Morgengrau tat sich dabei besonders hervor und gab fürchterlich damit an. Auch jetzt hörte ihn Mr s Plithiver laut verkünden, wie umwerfend schön er sich finde, was für starke Muskeln und welch weiches Gefieder er habe. Währenddessen flog er einen Looping nach dem anderen.
    „Guckt mal, wie ich von der Wolke hüpfe!“ Und er sang zum zehnten Mal an diesem Tag sein Lied „Schöner als jede Wolke bin ich“.
    Was ist grau und wolkenweich,
Was glänzt herrlich, dem Morgenlicht gleic h –
Das bin ICH!
Morgengrau, der Bartkau z –
Himmelstiger,
Stern der Nacht,
Im Flug ein Künstler,
Jede Feder eine Pracht!
Mit den Winden gleit ich,
Auf den Wolken reit ich,
Ungeloge n –
Noch nie ist jemand so meisterhaft geflogen!
    „Nun ja“, wandte die alte Blindschlange ungehalten zischelnd ein, „,auf den Wolken reit ich‘ stimmt aber nicht!“ Denn sie spürte, dass die Wolken dafür heute zu weit oben dahinzogen, und Morgengrau wiederum musste ziemlich niedrig fliegen, weil er sonst sein Spiegelbild im See nicht mehr hätte erkennen können. Der Bartkauz flog aber so, dass es im Wasser aussah, als gleite er auf den Spiegelbildern der Wolken.
    Und genau das, dachte Mr s Plithiver, war das Problem der Jungeulen: Sie verwechselten Trugbilder mit der Wirklichkeit. Die Spiegelseen hatten sie in ihren Bann geschlagen und sie alles vergessen lassen, wofür und wogegen sie gekämpft hatten. Hatten sie denn, seit sie sich an diesem verhängnisvollen Ort aufhielten, auch nur ein Mal vom Großen Ga’Hoole-Baum und seinen Bewohnern gesprochen? Hatten sie auch nur ein Mal das Sankt Äggie und seine Schreckensherrschaft erwähnt? Hatte Soren, seit er im See sein Spiegelbild erblickt hatte, auch nur einen einzigen Gedanken auf seine Eltern verschwendet? Oder auf seine geliebte Eglantine? Dachte der Schleiereulenjunge überhaupt je an seine arme kleine Schwester? Fragte er sich nie, wie es ihr ergangen sein mochte?
    Ja, es war wirklich eine eigenartige Gegend, und das lag nicht nur an den spiegelnden Seen, dem dicken, weichen Moos, den geräumigen Baumhöhlen und den vielen Wühlmäusen. Mr s Plithiver fiel mit einem Mal auf, dass überall, wo sie gewesen waren, der Winter kurz bevorstand. Nur hier herrschte noch Sommer, Hochsommer. Das konnte sie riechen. Die Blätter waren grün, das Gras saftig, der Erdboden warm. Aber das war unnatürlich! Sie mussten hier weg! Dieser Ort war genauso gefährlich wie das Sankt Äggie.
    „Kommt sofort her! Alle vier!“ Wenn Schlangen brüllen könnten, hätte man das jetzt so nennen müssen.
    Soren hob ruckartig den Kopf. Er hatte soeben seinen Schnabel im See bewundert. Ihm

Weitere Kostenlose Bücher