Die Legende der Wächter 5: Die Bewährung
halblang, Otulissa! Madame Plonk hat eine Schwäche für Glitzerkra m – na und? Nicht jeder hat eben so einen schlichten, reinen Charakter wie du.“
Es wurde schlagartig still am Tisch. Seit der erbitterten Schlacht mit den Reinen hatte das Wörtchen „rein“ einen negativen Klang, war beinahe ein Schimpfwort. Mr s P. wand sich und die Nussbecher auf ihrem Rücken klapperten leise. Soren musste an die Rede denken, die Ezylryb auf der Abschiedsfeier für die gefallene Strix Struma gehalten hatte:
Wir müssen den widerwärtigen Irrglauben bekämpfen, dass bestimmte Eulenarten „reiner“ und damit besser sind als andere. Wenn künftig einer von uns das Wort „rein“ in den Schnabel nimmt, wird er unweigerlich an das Blutvergießen denken, das dieses Wort verursacht hat.
Morgengrau ging erst jetzt auf, was er gesagt hatte, und er kniff den Schnabel zusammen.
Um ihm aus der Verlegenheit zu helfen, ergriff Otulissa wieder das Wort und sagte beschwichtigend: „Ich meine ja nur, dass Madame Plonk so lieblich singt und mit ihrem schneeweißen Gefieder so schön aussieht, dass sie es überhaupt nicht nötig hat, sich mit irgendwelchem Krimskrams zu behängen. Und ich selbst mache mir nun mal nichts daraus.“
So weit, so gut. Doch dann wandte sich Otulissa aus unerfindlichen Gründen zu Ginger um. „Mein Helm, meine Super-Kampfkrallen aus Nickel und ein brennender Ast sind mein schönster Schmuc k – mehr brauche ich nicht.“ Ihre Augen funkelten entschlossen. Beim Gefecht mit den Reinen hatte Otulissa große Tapferkeit bewiesen.
Abermals senkte sich Schweigen wie dicke Nebelschwaden über den Tisch.
Kann nicht jemand einen Schleimpupserwitz erzählen?, dachte Soren beklommen.
Er gab sich einen Ruck. „Kennt ihr schon die Geschichte von der Möwe, der eine Fledermaus auf den Kopf kackt?“
Die meisten Schleimpupserwitze handelten von Möwen, denn diese Vögel galten als die niedrigste Art unter den Schleimpupsern.
„Erzähl!“, rief Gylfie, der die Missstimmung am Tisch genauso zu schaffen machte.
„Die Möwe kriegt den Schleimbatzen in die Augen und die Fledermaus sagt: Jetzt bist du blind wie ’ne Fledermaus!“
Allgemeines schallendes Tschurre n – Eulengelächte r – erhob sich. So gut war der Witz auch wieder nicht, dachte Soren und schielte zu Mr s P. hinunter. Wer bei Tisch einen Schleimpupserwitz erzählte, wurde eigentlich sofort aus dem Speisesaal geworfen. Beim ersten Wort sollten sich die Nesthälterinnen aufbäumen, das Geschirr abschütteln und den Übeltäter hinausbefördern. Doch Mr s P. lag reglos da. Anscheinend war sie genauso betroffen wie die jungen Eulen, weil das schlimme Wort gefallen war. Sorens Tischgenossen tschurrten und johlten immer noch so hemmungslos, dass lose Federn aus ihrem Gefieder fielen und umherstoben. An den anderen Tischen drehte man sich schon nach ihnen um. Doch als Sorens Blick auf Primel fiel, bekam er einen Schreck. Bei Glaux! Lacht sie oder weint sie? Die Sperlingskäuzin schüttelte sich und gab erstickte Laute von sich, aber aus ihren Augen kullerten dicke Tränen.
Etwas stimmt nicht
„Da hast du’s, Eglantine“, sagte Ginger, als die beiden Eulenmädchen wieder in ihrer Schlafhöhle waren, „sie lassen dich wieder nicht mitmachen.“
„Ich weiß. Ist ja nicht das erste Mal. Hab ich dir übrigens schon erzählt, dass Soren meine Erstes-Fell-am- Fleisch-Feier verpasst hat?“
„Wie bitte? Dein eigener Bruder ist nicht zu so einem wichtigen Anlass gekommen? Das ist unverzeihlich!“
„Er hatte irgendeine Ausrede, aber in Wirklichkeit wollte er sich mit seiner Bande amüsieren.“
„Welcher Bande?“
„So werden die vier hier im Baum genann t – Soren, Gylfie, Morgengrau und Digger, weil sie zusammen hergekommen sind und die ganze Zeit zusammenstecken.“
„Und dich ausschließen!“
„Stimmt! Ach, ich fühle mich schrecklich allei n …“
Und was ist mit mir? , hätte Primel am liebsten gerufen. Sie saß wieder auf dem Ast vor der Höhle und lauschte. Sie hatte zwar leichte Gewissensbisse deswegen, aber schließlich war es auch ihre Höhle, und die beiden anderen hätten doch nur wieder getuschelt, wenn sie dabei gewesen wäre.
„Ich habe eine Idee, was du machen könntest“, sagte Ginger jetzt.
„Was denn?“
Primel legte den Kopf schief und spitzte die Ohren.
„Na j a … an deiner Stelle würde ich eine Liste aufstellen“, sagte Ginger in vertraulichem Ton.
„Was denn für eine Liste?“
„Eine Liste von
Weitere Kostenlose Bücher