Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
aus dem Fenster. Der Welpe lenkte sich die Nase und schloß die Augen. Warm. Schlafen. »Erzähl mir von dir«, verlangte sie unvermittelt.
Ich war verblüfft. »Was möchtet Ihr wissen, Mylady?«
Sie schlug ungeduldig mit der Hand durch die Luft. »Womit füllst du deine Tage aus? Was hast du gelernt?«
Also erzählte ich ihr von meinem Tun und Treiben, aber ich konnte sehen, daß sie nicht zufrieden war. Bei jeder Erwähnung von Burrichs Namen kniff sie die Lippen zusammen. Meine Waffenübungen beeindruckten sie nicht. Von Chade durfte ich nichts verraten. Nur als ich den Unterricht in Sprachen, Schreiben und Lesen erwähnte, rang sie sich ein kurzes, beifälliges Kopfnicken ab.
»Nun«, warf sie ein, »wenigstens bist du nicht vollkommen unwissend. Wer lesen kann, besitzt das Rüstzeug, alles zu lernen. Falls er den Willen dazu hat. Hast du den Willen zu lernen?«
»Ich glaube schon.« Meine Antwort klang beleidigt. Ich ärgerte mich über ihre Nichtachtung all dessen, was ich mir im Schweiße meines Angesichts an Wissen und Fähigkeiten angeeignet hatte.
»Dann wirst du lernen. Denn ich habe den Willen, dich zu bilden, selbst wenn es dir vorerst noch daran mangelt.« Der plötzliche Umschwung zu schulmeisterlicher Strenge in ihrem Tonfall und ihrer Haltung verwirrte mich. »Und wie nennt man dich, Junge?«
Wieder diese Frage. »Junge ist schon richtig«, gab ich murmelnd zur Antwort. Der schlafende Welpe in meinen Armen winselte unruhig. Seinetwegen zwang ich mich zur Gelassenheit.
Der Ausdruck der Bestürzung in ihrem Gesicht erfüllte mich mit Genugtuung. »Ich werde dich, hm, Thomas nennen. Tom für den alltäglichen Gebrauch. Bist du damit einverstanden?«
»Ich glaube schon«, sagte ich wieder. Burrich machte sich mehr Gedanken bei der Auswahl eines Namens für einen Hund. Bei uns im Stall gab es keine Bellos oder Hassos. Burrich benannte jedes Tier, als wäre es königlicher Abkunft, entsprechend seiner Persönlichkeit oder bezogen auf wünschenswerte Charaktereigenschaften. Sogar Rußflockes Name symbolisierte ein verborgenes Feuer, das ich zu respektieren gelernt hatte. Diese Frau aber nannte mich Tom, ohne auch nur eine Minute überlegt zu haben. Ich senkte den Blick, damit sie nicht in meinen Augen lesen konnte.
»Also gut«, meinte sie beinahe schroff. »Komm morgen wieder, um die gleiche Zeit, dann werde ich einiges für dich vorbereitet haben. Sei gewarnt, ich erwarte deine willige Mitarbeit. Auf Wiedersehen, Tom.«
»Auf Wiedersehen, Mylady.«
Ich drehte mich um und ging. Laceys Blick folgte mir und kehrte dann zu ihrer Herrin zurück. Sie schien enttäuscht zu sein, aber ich wußte nicht, weswegen.
Es war immer noch früh am Tag. Diese erste Sitzung hatte nicht länger gedauert als vielleicht eine Stunde. Ich wurde nirgends erwartet, der Rest des Vormittags stand mir zur freien Verfügung. Deshalb machte ich mich auf den Weg zur Küche, um Reste für meinen Hund zu erbitten. Natürlich wäre es einfacher gewesen, ihn mit in den Stall zu nehmen, aber in dem Fall hätte Burrich von ihm erfahren, und ich wußte, was dann geschah. Der Kleine bliebe im Stall. Dem Namen nach wäre er zwar mein Hund, aber Burrich würde dafür sorgen, daß sich nicht wieder eine Verbundenheit entwickelte wie zwischen Nosy und mir. Diesmal sollte er mir nicht wieder einen Freund wegnehmen.
Ich plante mein Vorgehen. Als Schlafplatz ein Korb aus dem Waschhaus, Stroh, darüber ein ausgemustertes Hemd. Seine Ausscheidungen waren jetzt noch nicht der Rede wert, später vereinfachte wahrscheinlich das Band zwischen uns seine Erziehung zur Reinlichkeit. Vorläufig mußte er lernen, jeden Tag eine Zeitlang allein zu bleiben, doch wenn er größer wurde, konnte er mich begleiten. Selbstverständlich ließ sich dann nicht mehr vermeiden, daß Burrich ihn sah, aber den Gedanken schob ich erst einmal beiseite. Alles zu seiner Zeit. Am dringendsten brauchte er einen Namen. Ich betrachtete ihn.
Er gehörte nicht zu den kläffenden Terriern mit lockigem Fell. Man konnte sehen, daß er kurzes, glattes Haar haben würde, einen kräftigen Nacken und ein Maul wie einen Kohlenkasten. Ausgewachsen reichte er mir vielleicht bis zum Knie, also durfte es kein allzu gewichtiger Name sein, auch nichts Blutrünstiges wie Reißer oder Beißer. Er versprach ein lebhaftes, wachsames Tier zu werden. Filou? Das hörte sich flink und wendig an. Oder Pfiffig.
»Oder Amboß. Oder Hammer.«
Ich blickte auf. Der Narr trat aus einer Nische und
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