Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
war ein Geschenk. Nicht ein Stallhund, um den ich mich kümmerte, sondern mein Eigentum, von dem Burrich nichts wußte und das seiner Befehlsgewalt entzogen war. Bis auf meine Kleidung und den Kupferarmreif von Chade gab es wenig, das ich mein eigen nennen konnte. Doch Fäustel entschädigte mich für alles andere, was ich je entbehrt hatte.
Er war ein kräftiges, gesundes Tier. Als ich ihn hochhob, entdeckte ich eine schwache Musterung im Fell, einen weißen Fleck an seinem Kinn und einen weiteren an der linken Hinterpfote. Er verbiß sich in meinem Ärmel, schüttelte ihn wild und bemühte sich nach Kräften, ein drohendes Knurren zustandezubringen. Ich raufte mit ihm, bis er in einen tiefen, erschöpften Schlummer fiel. Dann legte ich ihn auf sein Strohpolster und begab mich widerstrebend zu meinen nachmittäglichen Lektionen und Pflichten.
Diese erste Woche mit Philia war für Fäustel und mich eine anstrengende Zeit. Ich lernte, stets durch einen Bewußtseinsstrang mit ihm verbunden zu bleiben, so daß er sich nie wirklich einsam fühlte und während meiner Abwesenheit ein jämmerliches Geheul anstimmte. Aber das erforderte Übung, deshalb war ich mit den Gedanken nie ganz bei meiner Arbeit. Burrich runzelte deswegen die Stirn, doch ich konnte ihn überzeugen, der Grund wären meine Sitzungen bei Philia. »Ich habe keine Ahnung, was diese Frau von mir will«, klagte ich ihm am dritten Tag mein Leid. »Gestern war es Musik. Innerhalb von zwei Stunden sollte ich die Harfe spielen, die Meerpfeifen und schließlich die Flöte. Jedesmal, wenn ich soweit war, dem einen oder anderen Instrument ein paar Töne zu entlocken, nahm sie es mir weg und drückte mir ein anderes in die Hand. Sie beendete den Unterricht damit, daß sie mir sagte, ich hätte kein Talent für Musik. Heute morgen fing sie mit Lyrik an. Sie hatte sich vorgenommen, mich das Gedicht über Königin Heilgesund und ihren Garten zu lehren. Es ist ein langes Werk über sämtliche Kräuter in diesem Garten und ihre Eigenschaften. Sie verwechselte die Zeilen und wurde zornig, wenn ich es genauso wiederholte, wie sie es mir vorgesagt hatte. Ich müßte doch wissen, daß Katzenminze nicht für Breiumschläge geeignet wäre, und ob ich mich über sie lustig machen wolle? Es war fast eine Erleichterung, als sie sagte, sie hätte meinetwegen Kopfschmerzen und wir müßten aufhören. Als ich mich erbötig machte, ihr zur Linderung Knospen vom Frauenhandstrauch zu bringen, richtete sie sich kerzengerade auf und sagte: ›Aha! Ich wußte, daß du mich verspottest!‹ Wie soll ich es ihr nur recht machen, Burrich?«
»Weshalb willst du es denn unbedingt?« knurrte er, und ich ließ das Thema fallen.
An diesem Abend erhielt ich Besuch von Lacey. Sie klopfte, trat ein und rümpfte die Nase. »Du mußt ein paar Handvoll Duftkräuter ausstreuen, wenn der Hund hier im Zimmer bleiben soll. Und nimm Essigwasser zum Aufwischen. Es riecht wie im Stall.«
»Leider hast du recht«, gab ich zu, dann sah ich sie an und wartete.
»Ich bringe dir das hier. Weil du damit am besten zurechtgekommen bist.« Sie hielt mir die Meerpfeifen hin. Ich schaute auf die kurzen, dicken, mit Lederriemen gebündelten Röhren. Tatsächlich hatten sie mir von allen Instrumenten am meisten zugesagt. An der Harfe störten mich die vielen Saiten, und selbst von Philia gespielt, klang mir die Flöte zu schrill.
»Kommst du im Auftrag von Prinzessin Philia?« fragte ich verwirrt.
»Nein. Sie weiß nicht, daß ich die Pfeifen genommen habe. Falls sie sie vermißt, wird sie glauben, daß sie irgendwo in ihrem Durcheinander begraben sind, wie gewöhnlich.«
»Und was soll ich damit?«
»Üben. Sobald du ein oder zwei Melodien gelernt hast, spiel ihr etwas vor.«
»Warum?«
Lacey seufzte. »Weil sie sich dann freut. Und wenn sie sich freut, ist auch mein Leben um vieles einfacher. Es gibt nichts Schlimmeres, als Zofe bei jemandem zu sein, der so großes Herzweh hat wie Prinzessin Philia. Sie möchte unbedingt bei dir irgendein besonderes Talent entdecken, damit sie dich herumzeigen und allen sagen kann: ›Seht ihr, ich habe euch gesagt, er ist etwas ganz Besonderes.‹ Nun, ich habe Söhne, und ich weiß, man braucht Geduld mit den Buben. Solange man hinschaut, ändert sich nichts bei ihnen, sie werden nicht größer, nicht schlauer, nicht gesitteter, aber wenn man sich nur für einen Moment abwendet und wieder umdreht, sind sie unversehens junge Männer und bezaubern jeden, außer ihre eigenen
Weitere Kostenlose Bücher