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Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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sondern die Warnungen und Ratschläge, die die Mitglieder einer Besatzung bei einem Krug Branntwein oder einem Laib gelben Pollenbrots an ihre Kameraden weitergaben.
    Sie sprachen von riesigen Fängen, prallvollen Netzen, unter deren Gewicht um ein Haar das Boot gesunken wäre, oder von wunderlichen Fischen und Meeresungeheuern, die man nur sehen konnte, wenn das Kielwasser eines Schiffes den Pfad des Vollmonds auf dem Wasser kreuzte. Mit gedämpfter Stimme berichteten sie von Dörfern, die von den Outislandern heimgesucht worden waren, sowohl an der Küste als auch auf den vorgelagerten Inseln unseres Herzogtums, von Piratenüberfällen, Seeschlachten und Meutereien. Am spannendsten waren die Geschichten über die Roten Korsaren, Outislander, die nicht nur über unsere Boote und Siedlungen herfielen, sondern auch ihre Landsleute beraubten. Einige Zweifler nannten die Schiffe mit dem roten Kiel Hirngespinste und spotteten über das Märchen, das Seeräubergesindel würde sich gegenseitig an die Kehle fahren.
    Kerry und ich und Nosy saßen unter den Tischen, knabberten an süßen Hellerwecken und lauschten mit großen Augen den rauhen Stimmen über unseren Köpfen, die von den roten Schiffen erzählten, an deren Rahen wie Flaggenschmuck gefesselte Männer hingen, nicht tot, nein, lebendig, und sie tanzten am Ende der Seile und schrien, wenn die Möwen niederstießen und nach ihnen hackten.
    Wir saugten die herrlich gruseligen Geschichten in uns auf, bis uns selbst in der stickigen Schänke eine Gänsehaut überlief, und dann flitzten wir wieder hinunter zum Kai, um uns noch einen Heller zu verdienen.
    Einmal bauten Kerry, Molly und ich ein Floß aus Treibholz und stakten es unter die Pier. Dort machten wir es fest, und als die Flut kam, brachte es einen Teil des Stegs zum Einsturz und beschädigte zwei kleine Boote. Geraume Zeit saß uns die Angst im Nacken, jemand könnte herausfinden, daß wir die Schuldigen waren. Ein anderes Mal setzte es Maulschellen von einem Schankwirt, der Kerry und mich beschuldigte, gestohlen zu haben. Unsere Rache war ein stinkender Hering, den wir zwischen Bock und Platte eines seiner Tische klemmten. Dort verfaulte er allmählich und zog tagelang Fliegenschwärme an, bis er ihn schließlich entdeckte.
    Ich erhielt während dieser Zeit einen Einblick in die verschiedensten Gewerbe: Fischhandel, Netzflicken, Bootsbau und Nichtstun. Noch tiefere Einblicke erhielt ich in die menschliche Natur. Bald verstand ich auf den ersten Blick zu beurteilen, wer die Absicht hatte, mir den versprochen Heller für einen Botengang zu bezahlen, und wer mich auslachen würde, wenn ich kam, um meinen Lohn zu fordern. Ich wußte, welcher Bäcker ein weiches Herz hatte und in welchen Läden man am leichtesten etwas mitgehen lassen konnte. Bei all diesen Unternehmungen war Nosy an meiner Seite, inzwischen so eng mit mir verbunden, daß ich mich kaum je ganz aus seinem Bewußtsein zurückzog. Ich benutzte seine Nase, seine Augen und seine Kiefer so selbstverständlich wie meine eigenen und kam nie auf den Gedanken, etwas Merkwürdiges daran zu finden.
    So verging der größte Teil des Sommers. Doch eines schönen Tages, die Sonne stand hoch am Himmel, der blauer war als das Meer, ging mein Glück schließlich zu Ende. Molly, Kerry und ich hatten eine Kette feiner Leberwürste aus einem Räucherhaus gestohlen und rannten die Straße hinunter, auf der Flucht vor dem rechtmäßigen Besitzer. Nosy war bei uns, wie immer. Die anderen Kinder hatten sich daran gewöhnt, ihn als meine zweite Hälfte zu betrachten. Ich glaube nicht, daß sie sich je über unsere wortlose Verständigung wunderten. Neuer und Nosy waren wir, und sie hielten es vermutlich für einen raffinierten Trick, daß Nosy schon vorher wußte, wo er sein mußte, um den Leckerbissen zu schnappen, den ich ihm zuwarf. Deshalb waren wir eigentlich vier, die die belebte Straße hinunterliefen, mit vollen Backen kauend, während hinter uns der Fleischermeister fluchte und schnaufte.
    Dann trat Burrich aus einer Ladentür.
    Ich stürmte geradewegs auf ihn zu. Die unvermutete Begegnung traf uns beide wie ein Schlag. Burrichs finstere Miene ließ keinen Zweifel daran, was er von meinem Betragen dachte. Flucht, entschied ich im Bruchteil einer Sekunde und bog zur Seite aus, nur um plötzlich festzustellen, daß ich ihm in meiner Verwirrung genau in die Arme gelaufen war.
    Was anschließend geschah, zählt nicht zu meinen angenehmen Erinnerungen. Es setzte Knüffe

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