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Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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rief mich einfach Neuer. Die anderen hatten alltägliche Namen wie Dick oder Kerry oder bildhafte wie Netzpicker und Blaufleck. Blaufleck war ein Mädchen und hätte unter günstigeren Umständen ein hübsches kleines Ding sein können. Sie war ein oder zwei Jahre älter als ich, aber sehr redegewandt und schlagfertig. Ich erlebte, wie sie mit einem Rüpel von zwölf Jahren in Streit geriet, aber sie zeigte keine Angst vor seinen Fäusten, und die scharfzüngigen Beschimpfungen, mit denen sie ihn überschüttete, bewirkten, daß sie bald die Lacher auf ihrer Seite hatte. Sie nahm ihren Sieg gelassen, um so beeindruckter war ich von ihrer Courage. Allerdings – die purpurn, blau und gelb schillernden Blutergüsse in ihrem Gesicht und an ihren mageren Armen sowie blutiger Schorf an einem Ohr legten Zeugnis davon ab, daß es nicht immer so glimpflich ausging. Trotzdem war Blaufleck ein wahrer Irrwisch, mit einer Stimme, die schriller war als das Kreischen der Möwen über uns. Am späten Nachmittag lungerten sie, Kerry und ich an einem steinigen Strand unterhalb der Gerüste der Netzflicker herum, wo Blaufleck mir beibrachte, die Klippen nach festsitzenden Muscheln abzusuchen und mit einem spitzen Stock loszubrechen. Sie zeigte mir gerade, wie man einen Nagel dazu benutzte, die zähen Bewohner aus der Schale zu polken, als ein anderes Mädchen nach uns rief.
    Der hübsche blaue Umhang um ihre Schultern und die Lederschuhe ließen erkennen, daß sie nicht zu meinen Gefährten gehörte. Auch machte sie keine Anstalten, sich an unserer Muschelsuche zu beteiligen, sondern kam nur auf Rufweite heran. »Molly, Molly, er sucht überall nach dir! Vor einer Stunde ist er fast nüchtern aufgewacht und hat fürchterlich geflucht, als niemand da war und das Feuer aus.«
    Ein Ausdruck von Trotz und Angst huschte über Blauflecks Gesicht. »Es war lieb von dir, herzukommen und mich zu warnen, Kittne, ich danke dir. Geh jetzt nach Hause. Und ich werde an dich denken, wenn nächstes Mal bei Ebbe die Algenkrebsgründe freiliegen.«
    Kittne nickte kurz, dann machte sie kehrt und lief den Weg zurück, den sie gekommen war.
    »Steckst du in Schwierigkeiten?« fragte ich, als Blaufleck sich nicht gleich wieder daranmachte, Steine umzudrehen.
    »Schwierigkeiten?« Sie schnaufte verächtlich. »Kommt darauf an. Wenn mein Vater lange genug nüchtern bleiben kann, um mich zu finden, dann vielleicht. Mehr als wahrscheinlich ist er bis heute abend so betrunken, daß nichts von dem, was er mir nachwirft, mich trifft. Mehr als wahrscheinlich!« wiederholte sie bestimmt, als Kerry den Mund aufmachte, um zu widersprechen. Damit wandte sie sich wieder dem Strand zu und unserer Suche nach Muscheln.
    Wir hockten um ein vielbeiniges graues Geschöpf, das wir in einem Gezeitentümpel entdeckt hatten, als das Knirschen von Stiefeln auf den muschelbewachsenen Klippen uns aufschreckte. Mit einem Aufschrei ergriff Kerry das Hasenpanier, ohne sich noch einmal umzusehen. Nosy und ich sprangen zurück, mein Hundefreund fletschte mutig die Zähne, doch gleichzeitig hatte er den Schwanz zwischen die Beine geklemmt. Molly Blaufleck war entweder nicht schnell genug oder bereit, sich in ihr Schicksal zu ergeben. Ein schäbig aussehender Mann versetzte ihr eine schallende Backpfeife. Er war zaundürr, mit roter Nase und knochig, so daß seine Faust wie ein Knoten am Ende des mageren Arms hing, trotzdem warf der Schlag Molly um. Die scharfkantigen Muscheln zerschnitten ihre windgeröteten Knie, und als sie zur Seite kroch, um dem schlechtgezielten Fußtritt auszuweichen, spürte ich förmlich den salzigen Sand in den blutigen Schmarren brennen.
    »Faules kleines Biest! Habe ich dir nicht befohlen, zu Hause zu bleiben und deine Arbeit zu tun? Aber du treibst dich am Strand herum und läßt den Talg hart werden. Heute abend wird man in der Burg frische Kerzen brauchen, und was soll ich ihnen verkaufen?«
    »Die drei Dutzend, die ich heute morgen fertiggemacht habe. Zu mehr hat das bißchen Docht nicht gereicht, das noch da war.« Molly stand auf und bot ihrem Vater tapfer die Stirn, wenn ihr auch Tränen in den Augen standen. »Was sollte ich tun? Alles Holz verbrennen, damit der Talg flüssig bleibt, und wenn du mir dann endlich Dochtfaden bringst, haben wir nichts mehr, um den Kessel heiß zu machen?«
    Eine Bö trug den Geruch des Mannes heran, der schwankend vor uns stand. Schweiß und Bier, informierte Nosy mich altklug. Für einen kurzen Augenblick malte sich

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