Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
der Narr neben meinem Bett. Er sah auf mich hernieder und schüttelte den Kopf. »Warum ich nur in Rätseln sprechen kann? Weil du Verwirrung stiftest. Durch den Nebel erblicke ich einen Kreuzweg und wen in der Mitte? Dich. Glaubst du, ich stehe dir bei, weil ich so begeistert von dir bin? Nein. Du erschaffst Alternativen. Durch deine Existenz verhilfst du uns zu einer größeren Auswahl an Möglichkeiten. Je mehr Möglichkeiten, desto mehr Chancen, in ruhigeres Wasser zu gelangen. Du siehst, es geschieht nicht um deinetwillen, sondern zum Nutzen der Sechs Provinzen, daß ich dein Leben erhalte. Und deine Pflicht ist die gleiche. Zu leben und Alternativen zu erschaffen.«
Beim Erwachen steckte ich noch in derselben Zwickmühle, in der ich mich beim Einschlafen befunden hatte, und auch ein Ausweg war weit und breit nicht in Sicht. Wenn ich mit Chade sprechen könnte. Aber das war nicht möglich, also schloß ich die Augen und versuchte zu denken, wie er es mich gelehrt hatte. »Was weißt du?« würde er mich fragen, und: »Was vermutest du?« Nun gut.
Edel hatte König Listenreich belogen, was Rurisks Gesundheit und seine Haltung gegenüber den Sechs Provinzen anging. Oder, auch möglich, König Listenreich hatte mich belogen, was Edels Berichte aus Bergreich anging. Oder Rurisk hatte bezüglich seiner Absichten uns gegenüber die Unwahrheit gesagt. Nach kurzem Überlegen beschloß ich, meiner ersten Annahme zu folgen. Listenreich hatte mich meines Wissens nie belogen, und Rurisk hätte mich seelenruhig sterben lassen können, statt in mein Zimmer gestürzt zu kommen, um mich vielleicht noch zu retten. Punkt. Offenbar wollte Edel Rurisk tot sehen. Oder? Wenn er Rurisk tot sehen wollte, weshalb verriet er mich an Kettricken? Außer sie hatte tatsächlich nur auf den Busch geklopft. Hm. Unglaubhaft. Auch wenn sie den Verdacht hegte, Listenreich könne einen Assassinen schicken, wie kam sie ausgerechnet auf mich? Nein. Sie hatte meinen Namen erkannt. Und wußte von Lady Quendel. Punkt.
Und Edel hatte gesagt, zweimal gestern abend, sein Vater werde es bereuen, nicht Lady Quendel geschickt zu haben. Doch auch ihren Namen hatte er Kettricken verraten. Wen wollte Edel in Wirklichkeit aus dem Weg haben? Prinz Rurisk? Oder Lady Quendel und mich, nach einem mißglückten Attentat vor Gericht gestellt und verurteilt? Und in welcher Weise nützte das ihm und der Hochzeit, deren Zustandekommen er betrieben hatte? Und weshalb bestand er darauf, daß ich Rurisk tötete, wenn allein die politische Vernunft dafür sprach, ihn leben zu lassen?
Wenn ich mit Chade sprechen könnte! Unmöglich. Ich mußte selbst einen Entschluß fassen. Außer ...
Wie schon gestern brachten Diener Wasser und Obst. Ich stand auf, zog meine unbequemen Kleider an, aß etwas und verließ mein Gemach. Dieser Tag versprach nicht anders zu werden als der Tag zuvor. Die festliche Atmosphäre begann an meinen Nerven zu zerren. Um die Zeit nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, erkundete ich den Palast. Ich fand des Königs, Rurisks und Kettrickens Gemächer und studierte sorgfältig die Treppe und den stützenden Unterbau von Edels Räumlichkeiten. Cob schlief in den Ställen, wie Burrich. Von Burrich nicht anders zu erwarten, er würde die Pferde aus Bocksburg hüten wie seinen Augapfel, bis wir Jhaampe verließen. Aber weshalb hatte sich Cob ebenfalls dort einquartiert? Um sich bei Burrich einzuschmeicheln oder um ihn zu bespitzeln? Sevrens und Rowd schliefen in Edels Vorzimmer, trotz der vielen freien Zimmer im Palast. Zu guter Letzt wollte ich die Dienstpläne der Wachen studieren, konnte aber nichts dergleichen finden. Während meines Erkundungsganges hielt ich Ausschau nach August, doch erst spät am Vormittag gelang es mir, ihn in einer ruhigen Ecke zu treffen. »Ich muß mit dir reden. Unter vier Augen«, sagte ich.
Er wirkte ungehalten und schaute sich um, ob jemand uns beobachtete. »Nicht hier, Fitz. Vielleicht zu Hause in Bocksburg. Ich habe offizielle Verpflichtungen ...«
Darauf war ich vorbereitet. Ich zeigte ihm die Nadel, die der König mir vor so vielen Jahren gegeben hatte. »Siehst du das? Ich bekam sie von König Listenreich und mit ihr das Versprechen, wenn ich je mit ihm sprechen müßte, würde sie mir Zutritt zu seinen Gemächern verschaffen.«
»Wie rührend«, bemerkte August zynisch. »Und hast du einen Grund, mir diese Geschichte zu erzählen? Um mich zu beeindrucken vielleicht?«
»Ich muß den König sprechen. Auf der
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