Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
genug, dich selbst zu verraten, oder sie hat nur auf den Busch geklopft. Ich hoffe, du bist ihr nicht auf den Leim gegangen?«
Er war höchstens ein mittelmäßiger Lügner. Ich überging seine Ausreden und berichtete weiter. Daß man mich vergiftet hatte und von Rurisks und Kettrickens frühmorgendlichem Besuch. Ich wiederholte unsere Unterhaltung Wort für Wort. Als ich geendet hatte, begutachtete Edel eine Zeitlang seine Fingernägel, bevor er etwas sagte. »Und hast du dich mittlerweile für eine Methode und einen Zeitpunkt entschieden?«
Ich bemühte mich, mir meine Überraschung nicht anmerken zu lassen. »Unter den Umständen hielt ich es für richtiger, auf die Durchführung des Auftrags zu verzichten.«
»Keine Nerven«, bemerkte Edel verächtlich. »Ich hatte Vater gebeten, diese alte Schachtel Lady Quendel zu schicken. Sie hätte ihn längst unter die Erde gebracht.«
»Hoheit?« fragte ich, als hätte ich nicht verstanden. Daß er von Chade als Lady Quendel sprach, war für mich ein Hinweis darauf, daß er von dem wahren Sachverhalt keine Ahnung hatte. Möglicherweise hatte er Vermutungen, aber ihn über Chade aufzuklären gehörte eindeutig nicht zu meinen Pflichten.
»Hoheit?« imitierte Edel mich höhnisch, und endlich merkte ich, daß der Mann betrunken war. Äußerlich merkte man ihm kaum etwas an, aber sein schäbiger Charakter trat unverhohlen zutage. Mit einem schweren Seufzer, als wäre diese ganze Angelegenheit die reinste Zumutung, warf er sich auf ein mit Kissen und Decken gepolstertes Sofa. »Alles bleibt beim alten. Du kennst deine Aufgabe. Tu, was nötig ist. Mit etwas Geschick kannst du dafür sorgen, daß der Mord aussieht wie ein Unfall. Nach deiner rührenden Verbrüderung mit Rurisk und Kettricken wird keiner von beiden damit rechnen, daß noch Gefahr droht. Aber ich will, daß es erledigt wird. Vor morgen abend.«
»Vor der Vermählung?« entfuhr es mir ungläubig. »Fürchtet Ihr nicht, der Tod ihres Bruder könnte die Braut veranlassen, von der Hochzeit abzusehen?«
»Und wenn, es wäre nur ein Aufschub. Ich habe sie fest in der Hand, Junge. Man kann ihr leicht etwas vormachen. Schaff du uns ihren Bruder vom Hals. Bald. Wie willst du vorgehen?«
»Ich weiß nicht.« Diese Antwort erschien mir klüger, als gleich zu verkünden, ich hätte nicht die Absicht, Rurisk zu ermorden, auch wenn mein Entschluß feststand. Ich würde nach Bocksburg zurückkehren und Listenreich und Chade von den Ereignissen berichten. Wenn sie fanden, ich hätte falsch gehandelt, dann mochten sie mit mir tun, was sie wollten. Tu nichts, was du nicht ungeschehen machen kannst, ohne zu überlegen, was du nicht mehr tun kannst, nachdem du es getan hast.
»Und wann wirst du es wissen?« erkundigte er sich sarkastisch.
Ich versuchte Zeit zu gewinnen. »Dieser Auftrag verlangt Sorgfalt. Ich muß den Mann und seine Gewohnheiten studieren, seine Gemächer untersuchen, das Kommen und Gehen seiner Diener beobachten. Ich muß einen Weg finden, um ...«
»Bis zur Vermählung sind es nur noch zwei Tage«, unterbrach mich Edel. Sein Blick richtete sich in eine unbestimmte Ferne. »Was du behauptest, herausfinden zu müssen, weiß ich längst, also überlaß die Planung mir. Komm morgen abend her, und ich gebe dir deine Anweisungen. Und merk dir, Bastard, auf keinen Fall handelst du, ohne mich vorher informiert zu haben. Für mich wäre eine Überraschung peinlich. Für dich wäre sie hochnotpeinlich.« Er schaute mich aus zusammengekniffenen Augen an, aber ich zeigte ihm eine ausdruckslose Miene.
»Du bist entlassen.« Er winkte hoheitsvoll. »Melde dich hier morgen abend zur gleichen Zeit. Und daß ich nicht wieder Sevrens nach dir schicken muß, er hat Wichtigeres zu tun. Übrigens, sei gewiß, daß mein Vater von deiner Nachlässigkeit erfährt. Er wird bereuen, daß er nicht sein Faktotum Quendel geschickt hat, um diese Kleinigkeit zu erledigen.« Als er ausgiebig gähnte, schlug mir sein Weinatem entgegen, aber wenn mich nicht alles täuschte, mischte sich darunter noch ein Geruch nach verbrannten Kräutern. Ich fragte mich, ob er an den Lastern seiner Mutter Gefallen zu finden begann.
Auf dem Rückweg durch den Palast nahm ich mir vor, sorgfältig alle möglichen Alternativen zu durchdenken und einen Plan zu entwerfen. Doch ich war so müde und immer noch geschwächt von der vergangenen schrecklichen Nacht, daß ich schlief, sobald mein Kopf das Kissen berührte.
Kapitel 22
Irrungen
Im Traum stand
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