Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
Stelle.«
»Er ist nicht hier, wie du vielleicht bemerkt hast.« August sah mich an, als wäre ich dümmer, als selbst er geglaubt hätte, und wollte sich abwenden.
Ich griff nach seinem Arm und drehte ihn wieder zu mir herum.
»Du kannst zu ihm ›denken‹.«
Er schüttelte mich ärgerlich ab und schaute sich wieder nach allen Seiten um. »Das kann ich nicht. Und selbst wenn, würde ich es nicht tun. Bildest du dir ein, jeder, der ›denken‹ kann, hätte das Recht, den König zu belästigen?«
»Ich habe dir die Nadel gezeigt. Glaub mir, er würde es nicht als Belästigung empfinden.«
»Ich kann nicht.«
»Dann Veritas.«
»Ich ›denke‹ nicht zu Veritas, außer er ›denkt‹ erst zu mir. Bastard, du weißt gar nichts. Kein Wunder, daß du bei der Prüfung versagt hast. Es ist nicht so, als würde man einem Freund über eine Schlucht hinweg etwas zurufen. Die Gabe ist eine ernsthafte Sache und darf nicht benutzt werden, außer für ernsthafte Zwecke.« Erneut schickte er sich an zu gehen.
»Dreh dich um, August, oder du wirst es zu bereuen haben.« Eine leere Drohung, was konnte ich schon tun, außer ihn beim König anzuschwärzen. »Es wird Listenreich nicht erfreuen, daß du seinen Willen mißachtest.«
Langsam wandte er sich wieder zu mir um und sah mich böse an. »Nun gut, ich tue es, aber du mußt mir versprechen, alle Schuld auf dich zu nehmen.«
»Ich verspreche es. Kommst du also mit in mein Zimmer und ›denkst‹ für mich?«
»Kann es nicht irgendwo anders sein?«
»In deinen Gemächern?«
»Nein, das wäre noch schlimmer. Nimm's nicht übel, Bastard, aber ich möchte nicht den Anschein erwecken, mit dir Umgang zu pflegen.«
»Nimm's nicht übel, Prinzlein, aber mir geht es mit dir genauso.«
Schließlich war es eine Steinbank in einem stillen Winkel von Kettrickens Kräutergarten, wo August sich hinsetzte und die Augen schloß. »Was soll ich dem König übermitteln?«
Ich dachte nach. Da August nicht wissen durfte, worum es wirklich ging, mußte ich die Nachricht verschlüsseln. »Sag ihm, Prinz Rurisk sei bei bester Gesundheit, und wir dürften hoffen, ihn ein hohes Alter erreichen zu sehen. Edel besteht nach wie vor darauf, ihm das Geschenk zu geben, aber ich halte es nicht für angebracht.«
August öffnete die Augen. »Die Gabe ist eine ernsthafte ...«
»Ich weiß. Sag es ihm.«
Er atmete einige Male tief ein und aus, dann machte er die Augen zu, saß ein, zwei Minuten regungslos da und schlug sie wieder auf. »Er sagt, du sollst auf Edel hören.«
»Weiter nichts?«
»Er war beschäftigt. Und sehr verärgert. Jetzt laß mich in Ruhe. Du bist schuld, wenn ich mich vor meinem König zum Narren gemacht habe.«
Dazu wäre mir ein Dutzend geistreicher Erwiderungen eingefallen, aber ich ließ ihn gehen. Im nachhinein kamen mir Zweifel, ob er überhaupt den Versuch gemacht hatte, König Listenreich zu erreichen. Ich setzte mich auf die Steinbank und mußte mir eingestehen, daß ich viel Zeit vergeudet hatte, ohne einen Schritt weiterzukommen. Die Versuchung wurde übermächtig. Ich schloß die Augen, atmete, sammelte meine Gedanken. Listenreich, mein König.
Nichts. Keine Antwort. Ich bezweifle, daß ich überhaupt ›gedacht‹ habe. Resigniert stand ich auf und kehrte zurück in den Palast.
Auch an diesem Tag bestieg Kettricken das Podium. Wieder tat sie in einer kurzen, schlichten Ansprache kund, daß sie sich hiermit dem Volk der Sechs Provinzen verband und von nun an dessen Wohl verpflichtet war. Sie dankte ihrem eigenen Volk, Blut von ihrem Blut, und man möge bedenken, daß sie nicht aus Mangel an Liebe zu ihrem Vaterland fortging, sondern in der Hoffnung, beiden Ländern einen Vorteil zu bringen. Wieder herrschte Schweigen, bis sie die Stufen hinuntergestiegen war. Morgen war der entscheidende Tag, an dem sie sich durch das Ehegelübde mit Veritas verband, als Frau ihrem Mann. Wenn ich alles richtig verstanden hatte, sollte Edel Veritas' Platz neben ihr einnehmen, und August sollte ›denken‹, damit Veritas Zeuge sein konnte, wie seine Braut sich ihm angelobte.
Es wollte nicht Abend werden. Jonqui kam und nahm mich mit zu den Blauen Fontänen, und ich gab mich nach besten Kräften interessiert und liebenswürdig. Bei unserer Rückkehr empfingen uns im Palast wieder Sänger, Musikanten, gedeckte Tische und Vorführungen des Brauchtums der verschiedenen Stämme. Jongleure und Akrobaten zeigten ihre Kunst, Hunde führten Kunststücke vor, und Schwertfechter
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