Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
einmal im Gebrauch der Waffen unterwiesen werden sollst? Ja, und ein Pferd hast du auch gekriegt, wie man hört.«
Aus seinem Ton sprach mehr als bloße Mißgunst. Im Lauf meines Lebens habe ich erfahren, daß viele Menschen das Glück eines anderen als persönliche Beleidigung empfinden. Ich spürte eine von ihm ausgehende Woge der Feindseligkeit, als wäre ich in das Revier eines fremden Hundes eingedrungen. Doch einen Hund hätte ich mit meinen Gedanken erreichen und beschwichtigen können, bei Brant fühlte ich nur diese Hostilität wie ein aufziehendes Gewitter. Ich fragte mich, ob er eine Prügelei anfangen würde und ob er damit rechnete, daß ich zurückschlug oder die Flucht ergriff. Fast war ich soweit, den Rückzug anzutreten, als eine ganz in Grau gekleidete stattliche Gestalt hinter Brant auftauchte und ihn mit festem Griff am Genick packte.
»Ich habe gehört, aus dem Mund des Königs, daß er lernen soll, wie man die Waffen handhabt und im Sattel sitzt. Und das ist genug für mich und sollte mehr als genügen für dich, Bürschchen. Ich habe außerdem gehört, daß du unseren kleinen Freund herbringen solltest und dich dann bei Meister Tullume melden, wo es Arbeit für dich gibt. Haben deine großen Ohren das vielleicht ebenfalls vernommen?«
»Ja, Madam.« Brants Kampfeslust verwandelte sich schlagartig in katzbuckelnde Diensteifrigkeit.
»Und was all diesen ungemein wichtigen Klatsch betrifft, den du aufschnappst, so laß dir von mir sagen, daß kein weiser Mann alles ausplaudert, was er weiß. Und daß der, der Gerüchte weiterträgt, wenig anderes im Kopf hat. Verstehen wir uns, Brant?«
»Ich glaube schon, Madam.«
»Du glaubst nur? Dann will ich deutlicher werden. Hör auf zu schnüffeln und zu tratschen und tu, was man dir aufträgt. Sei anstellig und fleißig, und vielleicht werden die Leute anfangen zu munkeln, daß du mein ›Schoßhündchen‹ bist. Ich könnte dich so in Atem halten, daß du keine Zeit mehr hast, deine Nase in Dinge zu stecken, die dich nichts angehen.«
»Ja, Madam.«
»Du, Junge.« Brant machte sich bereits im Laufschritt davon, als sie sich mir zuwandte. »Komm mit.«
Die alte Frau wartete nicht ab, ob ich gehorchte. Sie marschierte resolut vor mir her über den großen Platz, und ich mußte mich in Trab setzen, um nicht zurückzubleiben. Die planierte Erde des Gevierts war hart und staubtrocken, und die Sonne brannte auf meine Schultern. Mir brach der Schweiß aus allen Poren, aber der Frau schien das schnelle Gehen kein Unbehagen zu bereiten.
Sie war von Kopf bis Fuß in Grau gekleidet: ein langes dunkelgraues Obergewand, darunter eine enganliegende Hose in hellerem Grau und über allem eine graue Lederschürze, die fast bis zu den Knien reichte. Eine Gärtnerin vielleicht, mutmaßte ich, nur die weichen, grauen Stiefel an ihren Füßen nahmen mich wunder.
»Ich soll hier Unterricht haben – bei Hod«, stieß ich japsend hervor.
Sie nickte kurz. Wir gelangten in den Schatten des Zeughauses, nach der grellen Helligkeit auf dem freien Platz eine Erholung für die Augen.
»Ich soll Fechten lernen und Waffenkunde«, erläuterte ich für den Fall, daß sie das eben Gesagte nicht verstanden hatte.
Sie nickte wieder und öffnete die Tür zum äußeren Zeughaus, wo – das wußte ich – die Übungswaffen aufbewahrt wurden. Der gute Stahl befand sich oben im Palas. In dem großen Raum herrschte ein kühles Halbdunkel, geschwängert von dem Geruch nach Holz und Schweiß und frischen Binsen. Sie ging zielstrebig auf ein Gestell zu, an dem eine Vielzahl geschälter Holzstangen lehnte.
»Such dir eine aus«, forderte sie mich auf, ihre ersten Worte, nachdem sie verlangt hatte, ich solle mitkommen.
»Wäre es nicht besser, ich warte auf Hod?« fragte ich zaghaft.
»Ich bin Hod«, antwortete sie ungeduldig. »Nun nimm dir einen Stock, Junge. Ich möchte ein paar Minuten mit dir alleine haben, bevor die anderen kommen. Um zu sehen, aus welchem Stoff du bist und was du weißt.«
Es zeigte sich schnell, daß ich so gut wie gar nichts wußte und leicht einzuschüchtern war. Nach kurzem Abtasten – Angriff, Riposte, Parade, Riposte – prellte sie mir mit einem kurzen, trockenen Hieb meinen Stab aus den gefühllosen Händen.
»Hm«, meinte sie weder barsch noch unfreundlich, sondern in etwa wie ein Gärtner beim Betrachten einer Saatkartoffel, die einen Hauch Frost abbekommen hat. Ich versuchte in ihr zu lesen und tauchte in eine ähnliche ruhige Abgeklärtheit, wie
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