Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
sie nicht an seinem Hof haben wollte, um sie zu demütigen, sondern als Lehrerin für seine Kinder, die sie in der Sprache und den Gebräuchen ihres Volkes unterweisen sollte. Als sie ihn fragte, weshalb er Wert darauf legte, daß sie diese Dinge lernten, erwiderte er: »Ein Herrscher muß all seinem Volk angehören, denn man kann nur beherrschen, was man kennt.« Später wurde sie aus freiem Willen die Gemahlin seines ältesten Sohnes und nahm bei ihrer Krönung den Namen Königin Harmonia an.
     
    Die Sonne, die mir ins Gesicht schien, weckte mich. Jemand war in mein Zimmer gekommen, hatte die Fensterläden geöffnet und eine Schüssel, ein Handtuch sowie einen Krug mit Wasser zurückgelassen. Ich machte dankbar Gebrauch davon, aber nachher fühlte ich mich immer noch schlaftrunken und etwas benommen. Außerdem empfand ich Unbehagen bei dem Gedanken, daß jemand in mein Zimmer kommen und sich darin zu schaffen machen konnte, ohne mich aufzuwecken.
    Wie ich angenommen hatte, schaute das Fenster aufs Meer hinaus, aber mir blieb nicht viel Zeit, die Aussicht zu genießen. Ein Blick zur Sonne verriet mir, daß ich mich verschlafen hatte. Ich warf meine Kleider über und hastete, ohne erst einen Umweg durch die Küche zu machen, zu den Stallungen.
    Doch Burrich schickte mich gleich wieder zurück. »Brant war schon hier, um dich zu suchen. Mistress Hurtig soll dir Maß für neue Kleider nehmen. Eil dich lieber, sie macht ihrem Namen alle Ehre und wird es dir nicht danken, wenn du ihren Tagesablauf durcheinanderbringst.«
    Der Marsch den Burgberg wieder hinauf ließ all meine Schmerzen vom Tag zuvor aufleben. Sosehr mir davor graute, Mistress Hurtig zu suchen und mir von ihr Kleider anmessen zu lassen, von denen ich sicher war, daß ich sie nicht brauchte, erfüllte es mich andererseits mit Erleichterung, an diesem Morgen nicht wieder in den Sattel klettern zu müssen.
    Nachdem ich mich von der Küche aus Stockwerk um Stockwerk durchgefragt hatte, fand ich Mistress Hurtig zu guter Letzt in einem Raum auf demselben Flur wie meine Schlafstube. An der Tür blieb ich schüchtern stehen und lugte hinein. Durch drei hohe Fenster fluteten Sonnenlicht und eine milde, salzige Brise in das Gemach. An einer Wand stapelten sich Körbe mit Garn und gefärbter Wolle, während ein tiefes Regal an der gegenüberliegenden Zimmerseite einen regenbogenbunten Reichtum an Stoffballen enthielt. Zwei junge Frauen schwatzten an einem Webstuhl, und in der hinteren Ecke wiegte sich ein Junge, nicht viel älter als ich, zum bedächtigen Schnurren eines Spinnrades. Ich hatte keinen Zweifel, daß es sich bei der Matrone, die mir ihren breiten Rücken zukehrte, um Mistress Hurtig handelte.
    Die beiden jungen Frauen entdeckten mich und unterbrachen ihr Gespräch. Mistress Hurtig wurde aufmerksam und drehte sich um, und einen Moment später hatte sie mich in ihren Klauen. Sie verschwendete keine Zeit mit Namen oder Erklärungen dessen, was sie vorhatte. Eh' ich mich's versah, stand ich auf einem Stuhl, wurde herumgedreht, mit dem Maßband traktiert und abgeschätzt, ohne Rücksicht auf meine Würde oder auch nur mein Menschsein. Sie mokierte sich bei den jüngeren Frauen über meinen schäbigen Anzug, ließ sich ungerührt darüber aus, daß ich sie lebhaft an den jungen Chivalric erinnerte und daß meine Maße und Farben den seinen ähnelten, als er in meinem Alter gewesen sei. Schließlich hielt sie mir Proben verschiedener Tuche an und bat sie, ihr Urteil abzugeben.
    »Das da«, meinte eine der Weberinnen. »Das Blau schmeichelt seinem brünetten Teint. Es hätte auch seinem Vater gut zu Gesicht gestanden. Welche Gnade, daß Philia den Jungen nie zu sehen bekommen hat. Seine Züge tragen viel zu deutlich Chivalrics Stempel, als daß ihr auch nur ein Quentchen Stolz geblieben wäre.«
    Ich stand dort, behangen mit Stoffbahnen, und hörte zum erstenmal, was in der Burg Allgemeinwissen war. Die Weberinnen redeten lang und breit darüber, wie die Nachricht von meiner Existenz die Burg und Philia erreicht hatte, lange bevor mein Vater ihr selbst davon berichten konnte, und welchen Schmerz sie ihr bereitete. Denn Philia war nicht fruchtbar, und obwohl Chivalric kein Wort eines Vorwurfs äußerte, ahnte jeder, wie betrüblich es für ihn als Erbe eines Reiches sein mußte, selbst kein Kind zu haben, das ihm auf den Thron folgte. Philia empfand mein Vorhandensein als unerträgliche Schmach, und sie erlitt – ohnehin geschwächt nach so vielen Fehlgeburten

Weitere Kostenlose Bücher