Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
kümmerliches Feuer. Ich schürte es zaghaft, mehr wegen des Lichts als wegen der Wärme, und machte mich daran, mein neues Quartier zu erforschen.
Es war ein einfacher, quadratischer Raum mit einem einzigen Fenster. Die Nacktheit der Steinwände, aus dem gleichen Granit wie der Boden unter meinen Füßen, milderte nur ein Gobelin an einer davon. Ich hielt meine Kerze hoch, um ihn zu betrachten, aber das Licht reichte nicht aus. Zu erkennen waren ein schimmerndes geflügeltes Geschöpf, Fabelwesen oder Dämon, und eine mit königlichen Insignien geschmückte Gestalt, die davor kniete. Später sagte man mir, es wäre König Weise, huldvoll empfangen von dem Uralten. Damals erschien mir die Szene bedrohlich, und ich wandte mich ab.
Jemand hatte einen halbherzigen Versuch unternommen, den Raum anheimelnder zu gestalten. Der Boden war mit frischen Binsen und Kräutern bestreut, und das Federbett machte einen bauschigen, frisch aufgeschüttelten Eindruck. Die zwei Decken darauf waren aus guter Wolle. Man hatte die Vorhänge zurückgezogen und Truhe und Bank, die beiden anderen Möbelstücke, abgestaubt. Nach meinen bescheidenen Maßstäben war es ein wahrhaft luxuriöses Zimmer. Ein richtiges Bett mit Zudecken und Vorhängen und eine Polsterbank und eine Truhe, um meine Habseligkeiten darin zu verstauen – das waren mehr Einrichtungsgegenstände, als ich mich erinnern konnte, je besessen zu haben. Daß sie allein für meinen Gebrauch bestimmt waren, ließ sie irgendwie größer erscheinen. Zu meiner Verfügung auch der Kamin, in den ich kühn ein zusätzliches Stück Holz legte, und das Fenster mit dem Eichenbord in der tiefen Mauernische. Jetzt waren die Läden geschlossen, aber tags hatte man wahrscheinlich einen weiten Ausblick über das Meer.
Die Truhe war ein schmuckloser Gebrauchsgegenstand mit messingbeschlagenen Ecken. Außen hatten die Jahre das Holz dunkel gefärbt, doch als ich den Deckel hob, war das Innere hell und wohlriechend. Meine bescheidene Garderobe, aus Burrichs Kammer hergebracht, nahm nur geringen Raum ein, obwohl man noch zwei Nachthemden hinzugefügt hatte. Eine zusätzliche Decke lag zusammengerollt daneben. Das war der ganze Inhalt. Ich nahm ein Nachthemd heraus und machte den Deckel zu.
Es war zu früh, um an Schlaf zu denken, aber mein ganzer Körper schmerzte, und was sollte ich sonst tun? Also kletterte ich auf das große Bett hinauf. Unten saß Burrich zu dieser Stunde wahrscheinlich in seiner Kammer, trank und besserte die Nähte an einem Kopfgeschirr aus oder was immer. Im Herd brannte ein Feuer, von unten drang gedämpft das Stampfen und Schnauben der Pferde herauf, die sich in ihren Boxen bewegten. Der Raum roch nach Leder und Öl und Burrich selbst statt nach feuchtem Stein und Staub. Ich zog das Nachthemd über den Kopf und schob meine Kleider ans Fußende, dann schlüpfte ich unter das Federbett. Es war klamm, und ich bekam eine Gänsehaut. Erst nach längerer Zeit hatte mein Körper die Laken so weit erwärmt, daß ich mich wohl zu fühlen begann. Hinter mir lag ein ereignisreicher und anstrengender Tag. Jeder einzelne meiner Muskeln fühlte sich bleischwer an. Ich wußte, daß ich eigentlich aufstehen sollte, um die Kerzen zu löschen, aber ich konnte mich nicht überwinden. Mir fehlte auch die Willenskraft, sie auszublasen und der Dunkelheit das Feld zu überlassen. So lag ich dösend in den Kissen und beobachtete unter schweren Lidern die verlöschenden Flammen des kleinen Feuers. Halb träumend wünschte ich mir, woanders zu sein, weder in diesem fremden Raum noch in der drückenden Atmosphäre von Burrichs Kammer – Sehnsucht nach einer Geborgenheit, die ich vielleicht früher gekannt hatte, ohne mich noch erinnern zu können, wo oder unter welchen Umständen. Mit diesen Gedanken glitt ich in das Vergessen hinüber.
Kapitel 4
Lehrzeit
Man erzählt eine Geschichte von König Viktor, ihm, der die Gebiete landeinwärts eroberte, aus denen schließlich das Herzogtum Farrow entstand. Sehr bald, nachdem er Sandsedge seinem Herrschaftsbereich hinzugefügt hatte, schickte er nach der Frau, die ohne sein Eroberungsstreben Königin dieses kleinen Reichs geworden wäre. Sie machte sich mit großer Furcht auf den Weg nach Bocksburg, voller Angst, wie es ihr ergehen werde, aber in noch größerer Sorge um das Schicksal ihres Volkes, falls sie sich weigerte, dem Ansinnen Folge zu leisten. Bei ihrer Ankunft war sie sowohl überrascht als auch etwas pikiert zu erfahren, daß Viktor
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