Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
Aufmerksamkeit auf mich. Eine Weile musterte er mich schweigend, und ich ertrug seinen durchbohrenden Blick. Etwas hatte sich verändert, und das machte mir angst. Seit er mir Nosy weggenommen hatte, war ich überzeugt gewesen, daß Burrich auch über mein Sein oder Nichtsein gebot, daß man einen kleinen Jungen ebenso leicht fortschaffen konnte wie einen kleinen Hund. Das hatte mich nicht daran gehindert, ein Gefühl der Zugehörigkeit zu ihm zu entwickeln; man muß nicht lieben, um abhängig zu sein. Dieses Bewußtsein, mich auf Burrich verlassen zu können, war die einzige wirkliche Sicherheit in meinem Leben, und nun glaubte ich, auch sie würde mir genommen.
»Soso.« Endlich brach er das Schweigen. »Du mußtest dich also in den Vordergrund drängen. Hattest keine Ruhe, bis er auf dich aufmerksam geworden ist. Nun gut. Er hat entschieden, was mit dir werden soll.« Burrich seufzte, und sein Schweigen bekam ein anderes Gewicht. Flüchtig kam es mir vor, als hätte er Mitleid mit mir. Dann sprach er weiter.
»Morgen soll ich für dich ein Pferd aussuchen. Er meinte, es sollte ein junges sein, damit ich euch beide zusammen ausbilden kann, doch ich überredete ihn, dich mit einem älteren, ruhigeren Tier anfangen zu lassen. Ein Lehrling nach dem anderen, sagte ich zu ihm. Doch ich habe meine eigenen Gründe, dir ein Tier zuzuteilen, das – weniger empfänglich ist. Sieh dich vor, ich merke es, wenn du Unfug treibst. Verstehen wir uns?«
Ich nickte heftig.
»Antworte, Fitz. Du mußt dich daran gewöhnen, den Mund aufzumachen, wenn du mit Lehrern und Ausbildern zu tun hast.«
»Ja, Herr.«
Das war ganz Burrich. Das Pferd für mich und welches Tier war seine größte Sorge gewesen. Nachdem in dieser Sache Klarheit herrschte, erklärte er mir das übrige in sachlichem Ton.
»Von jetzt an wirst du mit der Sonne aufstehen, Junge. Vormittags lernst du bei mir, ein Pferd zu pflegen und es deinem Willen zu unterwerfen. Und die Jagd mit Hunden und wie man sie zum Gehorsam abrichtet. Die rechte Art, Tiere zu beherrschen, die werde ich dich lehren.« Nach den letzten Worten ließ er eine bedeutungsvolle Pause entstehen. Mir wurde das Herz schwer, aber ich nickte und fügte rasch hinzu: »Ja, Herr.«
»An den Nachmittagen übernehmen sie deine Ausbildung. Gebrauch von Waffen und so weiter. Wahrscheinlich die Gabe, irgendwann. In den Wintermonaten geht es zum Lernen nach drinnen. Sprachen und Zeichen. Schreiben und Lesen und Rechnen, nehme ich an. Auch Geschichte. Was du damit anfangen sollst, weiß ich nicht, aber sei fleißig, um den König zu erfreuen. Er ist nicht jemand, den man verärgern darf. Am besten natürlich vermeidet man, sein Augenmerk auf sich zu lenken, aber ich habe versäumt, dich zu warnen, und nun ist es zu spät.«
Er räusperte sich und holte tief Atem. »Oh, und es gibt noch eins, das sich ändern wird.« Beiläufig nahm er das Lederzeug wieder her, an dem er gearbeitet hatte, und beugte sich darüber. Es sah aus, als spräche er zu seinen Händen. »Du bekommst ein eigenes Zimmer. Oben im Palas, wo all die Edlen wohnen. Du würdest jetzt schon dort schlafen, wenn du dich rechtzeitig herbequemt hättest.«
»Was? Das verstehe ich nicht. Ein Zimmer?«
»Aha, also bist du gar nicht so mundfaul, wenn es darauf ankommt? Du hast mich genau verstanden, Junge. Du bekommst eine eigene Stube, oben im Palas.« Er stockte, dann fuhr er munter fort: »Endlich bin ich wieder ungestört. Ach ja, und neue Kleider wird man dir morgen anmessen. Auch Stiefel. Obwohl ich mir nicht denken kann, was das soll, Stiefel an einen Fuß zu ziehen, der noch wächst ...«
»Ich will nicht im Palas wohnen.« So bedrückend das Zusammenleben mit Burrich auch geworden war, plötzlich erschien es mir ungleich erstrebenswerter als das Unbekannte. In meiner Vorstellung sah ich einen großen, kalten Raum mit nackten Wänden und Schatten, die in den Ecken lauerten.
»Nun, du wirst es aber«, erstickte Burrich jede Hoffnung im Keim. »Und es ist höchste Zeit dafür. Du bist Chivalrics Sohn, wenn auch nicht von seiner rechtmäßigen Gemahlin, und dich hier im Stall einzuquartieren wie einen streunenden jungen Hund – nun, es ist einfach nicht recht.«
»Mir macht es nichts aus«, warf ich verzweifelt ein.
Burrich hob den Blick und betrachtete mich streng. »Liebe Güte. Heute abend sind wir aber gesprächig.«
Ich schlug die Augen nieder. »Du wohnst auch hier«, sagte ich bockig. »Und du bist kein streunender
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