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Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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kleinen Tisch, und ohne zu fragen, ob ich hungrig war, bediente er mich mit eigenen Händen und ließ sich danach mir gegenüber nieder, um ebenfalls zu frühstücken. Ich war beeindruckt, trotzdem brachte ich kaum einen Bissen herunter. Der König redete nur vom Essen und sagte nichts von Abmachungen oder Loyalität oder davon, sein Wort zu halten. Als er sah, daß ich fertig war, schob auch er seinen Teller zurück und rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. »Es war meine Idee«, sagte er plötzlich, beinahe schroff. »Nicht seine. Er war von Anfang an dagegen, aber ich bestand darauf. Wenn du älter bist, wirst du es verstehen. Ich kann kein Risiko eingehen, mit niemandem. Aber ich habe ihm versprochen, du würdest die Wahrheit aus meinem eigenen Munde erfahren. Also – es war meine Idee, nicht seine. Und ich werde nie wieder von ihm verlangen, dich in dieser Weise auf die Probe zu stellen. Darauf hast du das Wort eines Königs.«
    Mit einem Wink war ich entlassen. Beim Aufstehen nahm ich von seinem Tablett ein kleines ziseliertes Silbermesser, mit dem er sein Obst geschnitten hatte. Ich sah ihm in die Augen, als ich das Messer offen und unverhohlen in den Ärmel schob. König Listenreich hob die Brauen, doch er sagte kein Wort.
    Zwei Nächte später, als Chade mich rief, nahmen wir unsere Lektionen wieder auf, als hätte es nie eine Unterbrechung gegeben. Er dozierte, ich hörte zu. Ich spielte sein Ratespiel mit den farbigen Steinen und irrte mich kein einziges Mal. Wir machten kleine Späße, und er zeigte mir, wie man Schleicher, das Wiesel, mit einer Wurst als Lockmittel zum Tanzen bringen konnte. Zwischen uns war alles wieder in Ordnung. Doch bevor ich an diesem Abend sein Zimmer verließ, trat ich an den Kamin und legte wortlos das silberne Messer mitten auf den Sims. Genauer gesagt, stieß ich es aufrecht in den Holzbalken. Dann ging ich, ohne etwas zu sagen oder ihn anzusehen. Tatsächlich sprachen wir niemals darüber.
    Ich glaube, das Messer steckt immer noch da.

Kapitel 6
Chivalrics Schatten
     
    Es gibt zwei Erklärungen für den Brauch, königlichen Nachkommen Namen zu geben, die auf Tugenden oder spezielle Fähigkeiten  anspielen. Die eine und am weitesten verbreitete behauptet, diese Namen seien auf geheimnisvolle Weise bindend, und ein Kind, das eines Tages in der Gabe ausgebildet würde, könnte nicht anders, als ein Leben lang seinem Namen getreu zu handeln. Diese erste Erklärung hat die ergebensten Verfechter unter solchen Leuten, die am bereitwilligsten vor dem kleinsten Edelmann katzbuckeln.
    Laut einer Überlieferung  aus früherer Zeit ist diese Sitte zufällig entstanden. Dort heißt  es, daß König Nehmer und König Herrscher, die beiden Outislander, die den Grundstein zum späteren Reich der Sechs Provinzen legten, keineswegs so hießen. Vielmehr klangen ihre wirklichen Namen in ihrer Muttersprache ähnlich wie diese Worte in der Mundart der Herzogtümer, und aus diesem Grund gingen sie mit ihren Homonymen statt mit ihrem richtigen Namen in die Geschichte ein. Doch für das Ansehen des Herrscherhauses ist es besser, das einfache Volk in dem Glauben zu lassen, daß ein Knabe, der auf einen edlen Namen getauft ist, eine ebensolche Persönlichkeit entwickeln wird.
     
    »Junge!« Ich hob den Kopf. Von den ungefähr halben Dutzend anderer Jungen, die vor dem Kamin saßen, fühlte sich keiner angesprochen. Die Mädchen zeigten noch weniger Interesse, als ich mich an dem Platz Meister Fedwren gegenüber an der Längsseite des niedrigen Tisches niederkniete. Meister Fedwren beherrschte eine besondere Nuance in der Betonung, die jedem verriet, wann Junge einfach »Junge« bedeutete und wann »der Bastard«. Ich rückte mit den Knien unter den niedrigen Tisch und setzte mich auf die Fersen, dann präsentierte ich Meister Fedwren meinen Übungsbogen. Während sein Blick über meine sorgfältig gemalten Buchstabenkolonnen wanderte, hing ich meinem Gedanken nach.
    Der Winter hatte uns hier im Großen Saal zusammengebracht. Draußen peitschte ein Sturm vom Meer her gegen die Mauern der Burg, und Brecher zerschellten mit einer Urgewalt an den Klippen, daß gelegentlich der Boden unter unseren Füßen erzitterte. Die tiefhängende Wolkendecke beraubte uns selbst der wenigen Stunden grauen Tageslichts, die die Jahreszeit gewährte. Mir kam es vor, als umhüllte uns die Dunkelheit wie ein Nebel, drinnen und draußen. Das Zwielicht sickerte in meine Augen, so daß ich mich schläfrig

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