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Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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irgend jemand könnte Interesse an meiner Gesellschaft haben – erst recht nicht an mir als Lehrling. Fedwrens Angebot machte mich sprachlos. Er mußte meine Verwirrung gespürt haben, denn er lächelte sein gütiges, jung-altes Lächeln.
    »Nun, denk darüber nach, Junge. Die Schreiberei ist ein gutes Gewerbe, und welche anderen Aussichten hast du? Unter uns gesagt, ich glaube, etwas Urlaub von Bocksburg täte dir gut.«
    »Urlaub von Bocksburg?« wiederholte ich staunend. Es war, als hätte jemand einen Vorhang aufgezogen. Der Gedanke war mir nie gekommen. Plötzlich bekamen die Straßen, die von Bocksburg wegführten, in meiner Vorstellung einen lockenden Glanz, und die langweiligen Karten, die man mich zu studieren gezwungen hatte, wurden zu Orten, die ich besuchen konnte. Ich war überwältigt.
    »Ja«, sagte Fedwren leise. »Geh weg von Bocksburg. Je älter du wirst, desto kürzer wird Chivalrics Schatten. Er wird dich nicht immer schützen. Besser, du stehst auf eigenen Füßen, mit deinem eigenen Leben und Broterwerb, bevor du nicht mehr mit seiner Protektion rechnen kannst. Aber du brauchst mir nicht gleich zu antworten. Denk darüber nach. Wenn du willst, sprich mit Burrich.«
    Und er gab mir mein Blatt Papier und schickte mich auf meinen Platz zurück. Ich dachte über seine Worte nach, aber es war nicht Burrich, an den ich mich wandte. In der Stunde zwischen Nacht und Morgen kauerten Chade und ich Kopf an Kopf auf dem Fußboden. Ich sammelte die roten Scherben eines zerbrochenen Kruges ein, den Schleicher umgeworfen hatte, während Chade die überall verstreuten staubfeinen schwarzen Samenkörner zusammenklaubte. Schleicher klammerte sich an den oberen Rand eines fadenscheinigen Wandteppichs und zirpte entschuldigend, aber ich spürte sein diebisches Vergnügen.
    »Die Samen kommen den ganzen weiten Weg von Kalibar, du unnützer, pelziger Tunichtgut!« schimpfte Chade.
    »Kalibar«, sagte ich und zitierte aus dem Lehrbuch: »Eine Tagesreise hinter unserer Grenze mit Sandsedge.«
    »Stimmt genau, mein Junge«, brummte Chade anerkennend.
    »Bist du je dort gewesen?«
    »Ich? O nein. Von dorther stammt der Samen, aber ich habe ihn mir aus Feuergrat bringen lassen. Dort gibt es einen großen Markt, auf dem Kaufleute aus aller Herren Länder ihre Waren feilbieten.«
    »Oh, Feuergrat. Aber da bist du gewesen?«
    Chade überlegte. »Ein- oder zweimal, als junger Mann. Am besten sind mir der Lärm und die Hitze im Gedächtnis geblieben. Landeinwärts ist es so – zu trocken, zu heiß. Ich war froh, wieder in Bocksburg zu sein.«
    »Bist du je an einem Ort gewesen, wo es dir besser gefallen hat als hier?«
    Chade, einen Hügel schwarzer Samenkörner in der hohlen Hand, streckte bedächtig den gebeugten Rücken. »Warum fragst du nicht einfach, was du fragen willst, statt drum herumzuschleichen wie die Katze um den heißen Brei?«
    Also berichtete ich ihm von Fedwrens Angebot und auch von meiner plötzlichen Erkenntnis, daß Landkarten mehr waren als Striche und Farben. Sie symbolisierten Orte und Möglichkeiten, und ich konnte von hier weggehen und jemand anders sein, ein Schreiber oder ...
    »Nein«, unterbrach mich Chade sanft, aber bestimmt. »Wohin du auch gehst, du bleibst überall Chivalrics Bastard. Fedwren ist klarsichtiger, als ich ihm zugetraut hätte, trotzdem durchschaut er die Zusammenhänge nicht. Nicht völlig. Er sieht, daß du hier stets ein Bastard bleiben wirst, ein Außenseiter. Was er nicht begreift, ist, daß du an König Listenreichs Hof, unter seiner Beobachtung, keine Gefahr für ihn darstellst. Anderswo, fremden Einflüssen ausgesetzt, würdest du zu einer Bedrohung für den König und zu einer noch größeren für seinen Erben. Kein freies Wanderleben als fahrender Schreiber, vielmehr würde man dich eines Tages mit durchgeschnittener Kehle in deinem Wirtshausbett finden – oder am Straßenrand mit einem Pfeil im Herzen.«
    Mich überlief ein Frösteln. »Aber warum?« fragte ich kläglich.
    Chade seufzte. Er ließ die Samen in eine kleine Schüssel rieseln und rieb dann vorsichtig die Hände gegeneinander, um die festhaftenden Körnchen abzustreifen. »Weil du ein königlicher Bastard bist und Gefangener deiner Herkunft. Vorläufig, wie schon gesagt, stellst du für Listenreich keine Bedrohung dar. Doch er sieht weiter in die Zukunft. Wie du es auch tun solltest. Dies sind unruhige Zeiten. Die Raubzüge der Outislander werden immer dreister. Die Küstenbewohner fangen an zu murren

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