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Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen

Titel: Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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fühlte, ohne müde zu sein. Für einen kurzen Moment öffnete ich meine Sinne und spürte die Winterträgheit der Hunde, die in ihren Schlupfwinkeln dösten und im Traum mit den Pfoten zuckten. Nicht einmal dort fand ich Gedanken oder Bilder, die mein Interesse erregt hätten.
    In allen drei großen Kaminen brannte Feuer, und jeder war von einer anderen Gruppe umringt. An einem waren die Pfeilmacher emsig bei der Arbeit, falls es morgen so weit aufklarte, daß man einen Jagdausflug unternehmen konnte. Ich hätte gerne bei ihnen gesessen, denn man hörte Sherfs melodische Stimme eine Geschichte erzählen, in Abständen unterbrochen vom Gelächter ihrer Zuhörer. Am hinteren Kamin erhoben helle Kinderstimmen sich zu einem fröhlichen Kehrreim. Ich erkannte das Schäferlied, eine Zählweise. Ein paar wachsame Mütter wippten im Takt mit dem Fuß, während sie sich über ihre Klöppelarbeit beugten, und Jerdons welke alte Hände hielten die jungen Sänger halbwegs genau am Gängelband der Melodie. An unserem Kamin hatten sich die Halbwüchsigen versammelt, die alt genug waren, stillzusitzen und sich der Kunst des Schreibens zu widmen. Fedwren führte die Aufsicht, seinen blauen Augen entging nichts. »Hier«, sagte er zu mir und deutete mit dem Finger auf die betreffende Stelle. »Du hast die Serifen an den Unterlängen vergessen. Erinnerst du dich, wie ich es dir gezeigt habe?
    Justice, mach die Augen auf und schreib weiter. Falls es dir schwerfällt, wachzubleiben, findest du es möglicherweise erfrischend, uns ein neues Scheit fürs Feuer zu holen. Benigna, du darfst ihn begleiten, wenn du nicht aufhörst zu kichern. Davon abgesehen« – übergangslos galt seine ungeteilte Aufmerksamkeit wieder meiner Arbeit – »ist deine Strichführung viel besser geworden, nicht nur bei diesen einheimischen Lettern, sondern auch bei den Runen der Outislander. Obwohl man letztere auf diesem schlechten Papier nicht ordentlich ausarbeiten kann. Die Oberfläche ist zu porös und zu durstig. Für Runen braucht es Bögen aus feiner, geklopfter Rinde«, und er strich mit den Fingern liebevoll über das vor ihm liegende Blatt. »Zeig mir weiter so gute Leistungen, und bevor der Winter zu Ende ist, darfst du mir eine Abschrift von Königin Lebewohls Remedien anfertigen. Was meinst du dazu?«
    Ich bemühte mich um einen angemessenen erfreuten Gesichtsausdruck. Schülern vertraute man gewöhnlich keine Kopierarbeiten an, gutes Papier war rar, und ein mißlungener Pinselstrich bedeutete einen verdorbenen Bogen. Ich wußte, die Remedien waren eine recht einfache Sammlung von Kräuterrezepten und Prophezeiungen, aber jede Art von Abschrift war eine Ehre, die man sich verdienen mußte. Fedwren reichte mir ein neues Blatt Konzeptpapier. Als ich aufstand, um an meinen Platz zurückzukehren, hieß er mich mit einer Handbewegung warten. »Junge?«
    Ich blieb stehen
    Der alte Mann machte einen befangenen Eindruck. »Ich weiß nicht, an wen ich mich wenden soll, eigentlich wohl an deine Eltern, aber ...« Gnädigerweise ließ er den Satz unvollendet. Er kraulte sich nachdenklich mit den tintenfleckigen Fingern den Bart. »Der Winter ist bald vorüber, und ich werde mich wieder auf den Weg machen. Weißt du, was ich im Sommer tue, Junge? Ich durchwandere alle sechs Provinzen, sammle Kräuter und Beeren und Wurzeln für meine Tinten und treffe Vorkehrungen für die Papiersorten, die ich brauche. Ein gutes Leben – sommers ungebundenes Herumschweifen auf den Straßen und winters ein warmer Platz hier in der Burg. Schreiber zu sein ist nicht die schlechteste Profession.« Er betrachtete mich sinnend. Ich erwiderte den Blick und fragte mich insgeheim, worauf er hinauswollte.
    »Alle paar Jahre nehme ich einen Lehrling an. Einige von ihnen entwickeln sich brav und werden Schreiber auf den Vasallenburgen. Andere besitzen nicht die Geduld für das Detail oder das Gedächtnis für die Tinten. Ich glaube, mit dir ginge es gut. Was würdest du davon halten, ein Schreiber zu werden?«
    Die Frage traf mich vollkommen unerwartet, und ich starrte ihn schweigend an. Es war nicht allein der Gedanke, ein Schreiber zu werden, sondern überhaupt die Vorstellung, Fedwren könnte mich als seinen Lehrling haben wollen, um ihn auf seinen Wanderungen zu begleiten und die Geheimnisse seiner Zunft zu lernen. Mehrere Jahre waren seit meiner Abmachung mit dem König vergangen. Abgesehen von Chade und meinen Freunden aus der Stadt, Molly und Kerry, hätte ich nie geglaubt,

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