Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
Schutz unserer Küsten zu tun. Eine ganz einfache Sache, und ich hatte vor, ihm das klipp und klar zu sagen. Er soll tüchtige Soldaten in diesen Turm beordern und sie anständig versorgen, damit sie anständige Arbeit tun. Basta. Damit hat es sich, und ich bin keinesfalls gesonnen, daraus ein großes diplomatisches Theater zu machen.«
Ächzend rückte er sich im Bett zurück, dann drehte er sich abrupt mit dem Gesicht zur Wand. »Mach das Licht aus, Charim.« Der treue Diener seines Herrn gehorchte dermaßen prompt, daß ich im Finstern stand und mir mit tausend ausgestreckten Händen den Weg aus dem Gemach und zu meiner Lagerstatt suchen mußte. Als ich mich niederlegte, staunte ich, daß Veritas offenbar unfähig war, die Situation in ihrer Vielschichtigkeit zu erkennen. Zwar stand es in seiner Macht, Kelvar zu zwingen, den Turm zu bemannen, doch er konnte ihn nicht zwingen, die Notwendigkeit einzusehen oder mit Stolz seine Pflicht zu erfüllen. Um das zu erreichen, bedurfte es diplomatischen Geschicks und Fingerspitzengefühls. Und dachte er nicht an die Instandhaltung der Verkehrswege, die Ausbesserung der Befestigungsanlagen und die Plage der Straßenräuber? Das alles mußte geregelt werden, auf eine Weise, daß zum einen Kelvars Gesicht gewahrt blieb und man zum anderen auf eine künftige gute Nachbarschaft und Zusammenarbeit zwischen ihm und Herzog Shemshy rechnen konnte. Außerdem war es hohe Zeit, daß jemand die Mühe auf sich nahm, Lady Grazia in ihren Pflichten und Aufgaben als Herzogin zu unterweisen. So viele Probleme. Doch kaum berührte mein Kopf das Kissen, da war ich schon eingeschlafen.
Kapitel 9
Fett tut's
Der Narr kam im siebzehnten Jahr von König Listenreichs Herrschaft an den Hof. Dies ist einer der wenigen Fakten, die über ihn bekannt sind. Angeblich ein Geschenk der Händler von Bingtown, kann man über seinen Ursprung nur Vermutungen anstellen. Es sind verschiedene Geschichten im Umlauf, zum Beispiel, daß der Narr ein Gefangener der Roten Korsaren war und die Händler ihn aus deren Klauen befreit hätten. Einer zweiten Version zufolge wurde der Säugling treibend in einem kleinen Boot gefunden, durch einen Schirm aus Haifischhaut vor der Sonne geschützt und weich gebettet auf ein Polster aus Heidekraut und Lavendel. Besonders letzteres kann man getrost als Produkt der Phantasie abtun. Wir wissen nichts vom Leben des Narren vor seiner Ankunft an König Listenreichs Hof.
So gut wie fest steht, daß der Narr der menschlichen Rasse angehört, wenn auch seine Abstammung nicht ganz rein sein mag. Gerüchte, wonach er ein Sproß des anderen Volkes sei, sind mit ziemlicher Sicherheit unwahr, denn er hat keine Häute zwischen Fingern und Zehen und zeigt nicht die mindeste Angst vor Katzen. Die ungewöhnlichen äußeren Charakteristika des Narren (Mangel an Pigmenten) scheinen Merkmale seiner fremdartigen Herkunft zu sein und nicht eine individuelle Abartigkeit, obwohl ich mich darin durchaus irren kann.
In der Frage des Narren ist das, was im dunkeln liegt, beinahe signifikanter als das, was wir wissen. Über sein Alter zum Zeitpunkt seines Auftauchens in Bocksburg ist viel spekuliert worden. Aus persönlicher Erfahrung kann ich behaupten, daß der Narr viel jünger wirkte und in jeder Hinsicht jugendlicher als heute. Doch weil er nur wenige Spuren des Älterwerdens erkennen läßt, besteht die Möglichkeit, daß er nicht so jung war, wie er anfangs zu sein schien, sondern lediglich das Ende einer langdauernden Kindheit erreicht hatte.
Auch über das Geschlecht des Narren hat man viel gerätselt.
Auf die unverblümte Frage einer jüngeren kühneren Person, als ich es bin, antwortete der Narr, das wäre allein seine Angelegenheit. Ich stimme ihm zu.
Was seine hellseherischen Fähigkeiten und die frustrierend vage Form seiner Vorhersagen angeht, besteht keine Einigkeit, ob sich da ein in seinem Volk verbreitetes oder nur ihm eigenes Talent manifestiert. Manche sind der Ansicht, er wüßte alles im voraus und sogar, ob irgend jemand irgendwo über ihn redet. Andere meinen, er wäre nur erpicht darauf, sagen zu können: »Ich habe euch gewarnt!«, und daß er seine rätselhaften Orakelsprüche nachher im Sinn des Geschehenen interpretiert und als Prophezeiung ausgibt. Ich will dem nicht widersprechen, doch in vielen, gut belegten Fällen hat er, wenn auch in verschlüsselter form, Ereignisse vorhergesagt, die später tatsächlich eingetreten sind.
Hunger weckte mich kurz nach
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