Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
kam er mir so lustlos vor, und im allgemeinen hat er immer Appetit, aber besonders auf etwas von meinem Teller.« Er wirkte verlegen, als hätte man ihn dabei ertappt, wie er glucksend mit einem Säugling Zwiesprache hielt. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte.
»Wenn das alles ist, Herr, soll ich dann wieder zu den Ställen gehen?«
Er sah mich über die Schulter stirnrunzelnd an. »Scheint mir reine Zeitverschwendung zu sein. Flink wird dein Pferd versorgen, oder nicht? Du mußt baden und dich umkleiden, wenn du rechtzeitig zum Festmahl fertig sein willst. Charim? Hast du Wasser für ihn?«
Der Lakai, der die Kleidungsstücke auf dem Bett zurechtgelegt hatte, richtete sich auf. »Sofort, Herr. Und ich werde auch ihm die Kleider herauslegen.«
Im Verlauf der nächsten Stunde schien mein ganzes bisheriges Dasein umgekrempelt zu werden. Es kam nicht völlig überraschend; beide, Burrich und Chade, hatten versucht, mich darauf vorzubereiten. Doch schlagartig von einem bedeutungslosen Mitläufer in Bocksburg zu einem Angehörigen von Veritas' unmittelbarem Gefolge aufzusteigen, das war schwindelerregend. Und jeder schien der Meinung zu sein, ich wüßte über alles Bescheid.
Veritas hatte sich angezogen und den Raum verlassen, bevor ich in der Wanne saß. Von Charim erfuhr ich, daß er fortgegangen war, um sich mit dem Hauptmann seiner Garde zu besprechen. Ich freute mich, daß Charim so redselig war, außerdem hielt er meine Stellung nicht für so erhaben, daß er sich gehemmt gefühlt hätte, in meiner Gegenwart frisch drauflos zu schwatzen.
»Ich werde dir hier ein Nachtlager zurechtmachen. Der Prinz hat gesagt, er wollte dich in seiner Nähe haben, und nicht nur, um für den Hund zu sorgen. Hat er noch andere Aufgaben für dich?«
Charim machte eine hoffnungsvolle Pause, die ich überbrückte, indem ich in das lauwarme Wasser tauchte und mir den Schweiß und Staub aus dem Haar spülte. Nach Luft schnappend, tauchte ich wieder auf.
Er seufzte. »Ich lege dir die Kleider zurecht. Laß mir die schmutzigen Sachen hier, ich werde sie für dich auswaschen.«
Es war seltsam, einen Diener um mich zu haben, während ich badete, und noch seltsamer, beim Ankleiden mit kritischen Blicken gemustert zu werden. Charim bestand darauf, die Säume meines Wamses zu begradigen, und sorgte dafür, daß die überweiten Ärmel an meinem neuen besten Hemd so lang und lästig herunterhingen wie nur möglich. Mein Haar war inzwischen wieder so gewachsen, daß ich die Zähne zusammenbeißen mußte, als er schnell und schmerzhaft die Knoten herauskämmte. Einem Jungen, der gewöhnt war, morgens ohne große Umstände in Kittel und Hose zu schlüpfen, kam das Zupfen und Begutachten endlos vor.
»Die Abstammung läßt sich nicht verleugnen«, sagte eine bewegte Stimme von der Tür her. Ich drehte mich herum und sah Veritas, der mich mit einer Mischung aus Schmerz und Belustigung anschaute.
»Er ist das Ebenbild von Chivalric in diesem Alter, nicht wahr?« Charim schien ungeheuer zufrieden mit sich selbst zu sein.
»In der Tat.« Veritas räusperte sich. »Niemand wird daran zweifeln, wer dich gezeugt hat, Fitz. Ich frage mich, was mein Vater sich gedacht hat, als er mich bat, dich herumzuzeigen. Listenreich heißt er, und listenreich ist er – ich wüßte gerne, was er zu erreichen hofft. Nun ja.« Er stieß einen Seufzer aus. »Das ist seine Politik, und ich rede ihm nicht drein. Meine Aufgabe besteht darin, einen geckenhaften alten Mann zu fragen, weshalb er nicht imstande ist, seine Wachttürme anständig zu besetzen. Komm, Junge. Es ist Zeit, daß wir nach unten gehen.«
Er wandte sich ab und verließ das Zimmer, ohne auf mich zu warten. Als ich ihm nacheilen wollte, hielt Charim mich am Arm fest. »Drei Schritte hinter ihm und zu seiner Linken. Denk daran.« Gehorsam hielt ich mich an seine Anweisung. Auf dem Weg den Flur entlang kamen weitere Mitglieder seines Gefolges aus ihren Gemächern zum Vorschein und schlossen sich ihrem Prinzen an. Alle hatten ihren besten Staat angelegt, um nach Kräften diese Gelegenheit zu nutzen, außerhalb von Bocksburg gesehen und bewundert zu werden. Meine bauschigen Ärmel waren gar nichts, verglichen mit den Modetorheiten mancher anderen. Wenigstens waren meine Schuhe nicht mit klingenden Glöckchen oder klappernden Bernsteinperlen behangen.
Am Kopf der Treppe blieb Veritas stehen, und sofort wurde es unten im Saal still. Ich blickte auf die emporgewandten Gesichter und hatte Muße, in
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