Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
Nimm ihm das Tuch ab, er soll selbst entscheiden, wie er sich am wohlsten fühlt. In dem Wickel wird ihm zu heiß, deshalb versucht er gleichzeitig zu hecheln und zu würgen. Setz ihn ab.«
Sie war einen Kopf größer als ich, und einen Moment lang sah es aus, als müßte ich mit ihr kämpfen. Dann aber ließ sie doch zu, daß ich ihr den eingeschnürten Hund aus den Armen nahm und aus seinem Tücherkokon wickelte. Ich stellte ihn auf den Tisch.
Dem kleinen Tier ging es miserabel. Es ließ den Kopf hängen, Maul und Brust waren von Speichel verklebt, sein Bauch kam mir hart und aufgetrieben vor. Wieder fing es an zu röcheln und zu würgen. Seine Kiefer öffneten sich weit, die Lefzen zogen sich von den kleinen, spitzen Zähnen zurück. An der Röte der Zunge konnte man erkennen, wie sehr er sich mühte. Das Mädchen stieß einen spitzen Schrei aus, sprang zum Tisch und wollte den Hund wieder an sich reißen, doch ich stieß sie grob zurück. »Laß ihn in Ruhe. Er versucht etwas auszuwürgen, und das geht nicht, wenn du ihm den Leib zusammendrückst.«
Sie stutzte. »Etwas auszuwürgen?«
»Er sieht aus und benimmt sich, als wäre ihm etwas im Hals steckengeblieben. Könnte er Knochen oder Federn gefressen haben?«
Sie machte ein erschrockenes Gesicht. »Der Fisch hatte Gräten. Aber nur ganz kleine.«
»Fisch? Wer um alles in der Welt hat ihm Fisch gegeben? War er frisch oder verdorben?« Ich hatte erlebt, wie krank ein Hund werden konnte, wenn er sich an den Lachsen gütlich tat, die nach dem Ablaichen ans Flußufer getrieben wurden und dort verfaulten. Hatte dieses kleine Tier davon gefressen, war sein Schicksal besiegelt.
»Er war frisch und gut gekocht. Dieselbe Forelle, die ich zu Mittag hatte.«
»Nun, wenigstens wird die ihn nicht vergiften. Es ist also nur eine Gräte, aber auch die kann ihn töten.«
»Nein, das darf nicht sein.« Sie schluckte. »Er darf nicht sterben. Bestimmt geht es ihm bald wieder gut. Er hat sich nur den Magen verdorben. Ich habe ihm zuviel zu fressen gegeben. Was willst du überhaupt davon verstehen, Küchenjunge?«
Der Schoßhund begann erneut krampfhaft zu würgen, doch er brachte nur Galle herauf. »Ich bin kein Küchenjunge. Ich bin für die Hunde verantwortlich. Für den Hund des Prinzen, wenn du es wissen mußt. Und wenn wir diesem kleinen Burschen nicht helfen, wird er sterben. Sehr bald.«
Hin- und hergerissen zwischen Bewunderung und Angst schaute sie zu, als ich nach ihrem kleinen Liebling griff. Ich will dir helfen. Er glaubte mir nicht. Ich zwang seine Kiefer auseinander und schob zwei Finger in seinen, Rachen. Das Tierchen würgte noch heftiger und scharrte mit den Vorderpfoten über meine Brust. Seine Krallen hätten längst geschnitten werden müssen. Mit den Fingerspitzen konnte ich die Gräte fühlen, sie stak quer im Hals. Der Hund jaulte gepeinigt auf und sträubte sich vehement gegen meinen Griff. Ich ließ los. »Nun gut. Er wird sich ohne Hilfe nicht davon befreien können.«
Während sie schluchzte und schniefte, holte ich einen Klumpen Butter aus dem Faß und ließ ihn in meine Eßschüssel fallen. Nun brauchte ich etwas Hakenförmiges oder Gebogenes, aber nicht zu groß. Ich durchstöberte die Schubladen und Behälter und entschied mich für einen Metallhaken mit Griff. Wahrscheinlich diente er dazu, heiße Töpfe vom Feuer zu ziehen.
»Setz dich«, forderte ich das Mädchen auf.
Sie starrte mich an, gehorchte aber nach kurzem Zögern.
»Jetzt klemmst du ihn dir am besten zwischen die Knie, und nicht loslassen, wenn er auch zappelt und winselt. Und halte seine Vorderpfoten fest, damit er mich nicht zerkratzt, während ich mit ihm beschäftigt bin. Hast du verstanden?«
Sie holte tief Luft, schluckte dann und nickte. Tränen liefen über ihr Gesicht. Ich setzte ihr den Hund auf den Schoß.
»Festhalten.« Ich nahm etwas von der Butter. »Das Fett dient als Schmiermittel. Anschließend muß ich ihm das Maul aufhalten, mit dem Haken die Gräte fassen und sie herausziehen. Bist du bereit?«
Sie nickte. Die Tränen waren versiegt, und sie hatte die Lippen zusammengepreßt. Ich war froh, daß sie doch etwas Mumm zu besitzen schien.
Dem Hund die Butter zu verabreichen war der leichte Teil, doch natürlich verursachte ihm der Batzen Fett das Gefühl, zu ersticken, und die Wogen seiner Angst brandeten gegen meine mühsam aufrechterhaltene Selbstachtung. Ich hatte keine Zeit, sanft zu sein, als ich ihm die Kiefer auseinanderzwang und den Haken in
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