Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
gebrochene Nase. Ja, und einen gehörigen Schwertstreich am Arm hat er ihm diesmal als Erinnerung mitgegeben.«
Beifälliges Murmeln folgte diesen Worten. Selbst ich mußte Edels Unverfrorenheit bewundern, während ich mich zurücklegte und den Kopf in mein Bündel wühlte, wie um zu schlafen. Der Erzähler am Feuer hingegen war noch nicht müde und spann sein Garn weiter.
»Angeblich verfügt er über die Alte Macht und kann sich bei Vollmond in einen Wolf verwandeln. Sie schlafen bei Tag, und nachts streifen sie umher. Man sagt, es ist ein Fluch, mit dem diese fremdländische Königin sich an unserem König dafür rächen will, daß er sie aus Bocksburg vertrieben hat, weil sie versuchte, die Krone an sich zu reißen. Der Narbenmann ist ein Besessener, der die Seele von König Listenreich in sich trägt, den die Hexe aus dem Grab heraufbeschworen hat, und so wandert er kreuz und quer durch die Sechs Provinzen und bringt Unheil, wohin er kommt, und sein Gesicht ist das Gesicht des alten Königs.«
»Mist und Modder«, sagte Creece angewidert und gönnte sich noch einen tiefen Schluck. Den anderen jedoch gefiel die schaurig-schöne Mär. Sie beugten sich vor und wollten mehr hören.
»Ich gebe nur weiter, was ich selbst gehört habe«, erwiderte der Erzähler beleidigt. »Daß der Narbenmann von König Listenreichs Geist besessen ist, und er kann keine Ruhe finden, bis die Königin aus den Bergen, die ihn verhext hat, auch in ihrem Grab liegt.«
»Aber wenn der Narbenmann König Listenreichs Geist ist, weshalb hat König Edel hundert Goldkurante Belohnung auf ihn ausgesetzt?« fragte Creece nörglerisch.
»Nicht sein Geist. Als König Listenreich starb, hat er ihm einen Teil seiner Seele gestohlen, und der alte König wird nun keine Ruhe finden, bis der Narbenmann tot ist und er seine Seele wiederhat. Und es wird gemunkelt«, hier senkte er die Stimme, »daß der Bastard nicht auf die rechte Weise getötet wurde und deshalb wieder als Gestaltwandler umgeht. Er und der Narbenmann wollen an König Edel Rache nehmen und die Krone zerbrechen, die er nicht stehlen konnte. Denn der Wolfsmann sollte neben der Hexenkönigin auf dem Thron sitzen, sobald sie sich König Listenreichs entledigt hatten.«
Die Nacht war wie geschaffen für eine solche Geschichte. Der Mond wanderte riesig und gelb-rot über den Himmel, während der Wind das klagende Brüllen der Rinder in ihren Pferchen herantrug, vermischt mit dem Brodem der Schlachtbänke und Lohegruben. Ab und zu flogen Wolkenfetzen über den Himmel. Bei den Worten des Erzählers lief mir ein kalter Schauer über den Rücken, allerdings aus anderen Gründen, als er geglaubt hätte. Ich wartete darauf, daß jemand mich mit dem Fuß anstieß oder rief: »He, sehen wir uns den hier mal genauer an.« Nichts dergleichen geschah. In den Köpfen der Zuhörer spukte die Vorstellung von glühenden Wolfslichtern in der Dunkelheit. Niemand vermutete den Unhold in dem müden Arbeitsmann, der mitten unter ihnen schlief. Trotzdem schlug mein Herz wie ein Hammer, während ich meine Spur Schritt um Schritt zurückverfolgte. Der Schneider, bei dem ich meine Kleider getauscht hatte, würde mich nach der Beschreibung wiedererkennen. Die Schmuckhändlerin vermutlich auch, und erst recht die Lumpensammlerin, die mir geholfen hatte, das Kopftuch umzubinden. Wenn auch nicht jeder darauf erpicht sein mochte, das Augenmerk der Soldaten des Königs auf sich zu lenken, tat ich gut daran, mit denen zu rechnen, die keinen Grund sahen, sich in vornehmer Zurückhaltung zu üben.
Der Erzähler war derweil unverdrossen dabei, die Geschichte von Kettrickens schändlichem Ehrgeiz weiter auszuschmücken, wie sie mit mir gelegen hatte, um ein Kind zu empfangen, durch das wir über die Sechs Provinzen herrschen wollten. Er sprach von ihr mit unüberhörbarem Abscheu, und alle Umsitzenden schienen seine Gefühle zu teilen. Selbst Creece neben mir erhob keine Einwände, als wäre diese absurde Verschwörung Allgemeinwissen. Im Gegenteil: Als er schließlich doch den Mund aufmachte, bestätigte er meine schlimmsten Befürchtungen.
»Du willst uns das als Neuigkeit verkaufen, dabei weiß längst alle Welt, daß ihr dicker Bauch nicht von Veritas stammt, sondern von dem Bastard. Hätte unser König die fremde Hure nicht davongejagt, hätte bald einer wie der Zwiefarbene Prinz darauf gewartet, den Thron zu besteigen.«
Zustimmendes Kopfnicken in der Runde. Ich schloß die Augen und drehte mich wie gelangweilt
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