Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
noch auf den Beinen, die meisten aber lagen tot oder sterbend am Boden – Schafsruhr, wie es aussah. Der Gestank der Seuche bereicherte das Spektrum übler Gerüche um eine weitere Nuance. Einige Schindergesellen waren damit beschäftigt, den toten Schafen das Fell abzuziehen, um wenigstens etwas zu retten. Sie veranstalteten eine blutige Fleischhauerei und ließen die abgezogenen Kadaver bei den sterbenden Tieren im Pferch liegen. Die Szene gemahnte mich auf grausige Art an ein Schlachtfeld, wo sich Plünderer an den Gefallenen zu schaffen machten. Ich wandte den Blick ab und half Dämon, seine Schafe zusammenzutreiben.
Schafe mit der Alten Macht beeinflussen zu wollen, ist nahezu vergebliche Liebesmüh; ihre Gedanken ähneln den Sonnenflecken auf dem Waldboden, wenn der Wind durch die Zweige fährt. Selbst solche, die einen gelassenen Eindruck machen, haben einfach nur vergessen, was sie eben noch wollten. Die schlimmsten von ihnen entwickeln einen geradezu krankhaften Argwohn und beginnen bei der geringsten Kleinigkeit ein perfides Katz-und-Maus-Spiel. Am besten macht man sich die Methode der Hütehunde zu eigen: überzeugt sie davon, daß in diese Richtung zu laufen ein wunderbarer Einfall ist, und bestärkt sie in dem löblichen Tun. Zu meinem eigenen Vergnügen malte ich mir aus, wie Nachtauge diese vierbeinigen Wollknäuel auf Trab gebracht haben würde, doch allein mein Denken an einen Wolf veranlaßte einige von ihnen, plötzlich stehenzubleiben und sich verstört nach allen Seiten umzublicken. Ich ermunterte sie, den anderen zu folgen, um nicht allein zurückzubleiben, worauf sie wie aus einem Tagtraum erwachend zusammenzuckten und sich beeilten, Anschluß an die Herde zu finden.
Dämon hatte mir eine ungefähre Wegbeschreibung gegeben und einen langen Stock. Ich betreute die Flanken der Herde und die Nachhut und mußte viel laufen, während Dämon selbst an der Spitze ging und verhinderte, daß sich die Herde an jeder Einmündung zerstreute. Er brachte uns zu einem Gebiet außerhalb der Stadt, und wir trieben die Schafe in einen der baufälligen Pferche dort. In einem anderen Gatter stand ein prachtvoller roter Stier, und auf einer kleinen Koppel wanderten sechs Pferde umher. Nachdem wir wieder zu Atem gekommen waren, berichtete Dämon, daß sich morgen ein Treck zum Blauen See hier sammeln würde. Er hatte diese Schafe erst tags zuvor gekauft und wollte sie mit nach Haus nehmen, zur Blutauffrischung seiner Herde. Ich fragte ihn, ob er vielleicht noch einen zweiten Hirten brauchte, worauf er mich prüfend musterte, eine Antwort jedoch schuldig blieb.
Er hielt sein Wort, was das Frühstück anging. Es gab Haferbrei und Milch, einfache Kost, die mir herrlich mundete. Aufgetischt wurde uns von einer Frau, die in einer Hütte nahebei wohnte und ihren Lebensunterhalt damit verdiente, daß sie auf die eingestellten Tiere aufpaßte und auch Mahlzeiten und Unterkunft für die Knechte und Treiber bereithielt. Während des Essens setzte Dämon mir umständlich auseinander, daß er tatsächlich noch einen Helfer – oder zwei – für die Reise gebrauchen könne, aber am Schnitt meiner Kleider sei zu erkennen, daß ich nicht die nötigen Kenntnisse für eine solche Tätigkeit mitbrächte. Heute morgen hätte er mich nur genommen, weil ich der einzige war, der richtig wach zu sein schien und arbeitswillig. Ich erzählte ihm meine Geschichte von der herzlosen Schwester und versicherte ihm, ich hätte durchaus Erfahrung im Umgang mit Schafen, Pferden und Rindern. Nach langem Hin und Her entschied er sich, es mit mir zu versuchen. Wir einigten uns darauf, daß er unterwegs für meine Verpflegung sorgen würde und mir am Ende der Reise zehn Silberstücke zahlte. Er stellte mir frei, in die Stadt zurückzugehen, mein Gepäck zu holen und mich zu verabschieden, doch falls ich bis zum Abend nicht wieder zur Stelle sei, würde er sich einen anderen Helfer suchen.
»Ich habe kein Gepäck und niemanden, von dem ich mich verabschieden müßte«, antwortete ich. Nach allem, was ich in der letzten Nacht erfahren hatte, wäre ich am liebsten gleich jetzt aufgebrochen, um eine möglichst große Entfernung zwischen mich und Edels Häscher zu legen.
Im ersten Augenblick sah Dämon bestürzt aus, dann schien er’s zufrieden zu sein. »Nun, ich muß mich um beides kümmern, deshalb überlasse ich es dir, die Schafe zu versorgen. Sie müssen getränkt werden. Das war ein Grund, weshalb ich sie erst in die städtischen Pferche
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