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Die Legende

Die Legende

Titel: Die Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gemmell
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wuchs, um den Geist zu verschlingen.
    Unter ihm lagen die vagrischen Unterkünfte, die Suboden und die dreihundert Männer beherbergten, die aus Dros Segril eingetroffen waren. Mehrere Tage hatte er gemeinsam mit seiner persönlichen Leibwache gekämpft und war wieder Prinz von Dros Segril geworden, der Sohn des Grafen Drada. Aber die Erfahrung war schmerzlich gewesen, denn seine eigenen Männer schlugen das Zeichen des Schützenden Horns, wenn er sich ihnen näherte. Sie sprachen nur selten mit ihm und dann auch nur, um rasch auf eine direkte Frage zu antworten. Suboden, der so offen sprach wie immer, hatte den Albino gebeten, sich wieder zu seinen Kameraden zu gesellen.
    »Wir sind hier, Prinz Serbitar, weil es unsere Pflicht ist. Und diese erfüllen wir am besten, wenn Ihr nicht an unserer Seite seid.«
    Noch schmerzlicher war allerdings das lange Gespräch mit dem Abt der Schwerter gewesen - dem Mann, den er verehrte und wie einen Vater liebte, seinem Mentor und Freund.
    Serbitar schloß die Augen und öffnete seinen Geist, befreite sich aus dem Gefängnis seines Körpers und zog die Vorhänge der Zeit auf.
    Zurück reiste er, weiter und weiter zurück. Dreizehn lange, mühsame freudenreiche Jahre fliegen an ihm vorbei, und er sieht wieder die Karawane, die ihn zum Abt der Schwerter gebracht hatte. An der Spitze der zehn Krieger reitet der riesige, rotbärtige Drada, der junge Graf von Segril - kampferprobt, impulsiv, ein gnadenloser Feind, doch ein wahrer Freund. Hinter ihm sind zehn jener Krieger, denen er am meisten vertraut, Männer, die für ihn sterben würden, ohne auch nur einen Moment zu zögern, denn sie lieben ihn mehr als ihr Leben. Am Schluß ein Wagen, auf dem der junge Prinz liegt, auf einer strohgefüllten Matratze mit seidenen Laken; eine Zeltplane schützt sein geisterhaft bleiches Gesicht vor der Sonne.
    Drada reißt sein Pferd herum und galoppiert zurück zu dem Wagen. Er beugt sich vor und blickt auf den Jungen nieder. Der Junge schaut auf. Vor dem strahlenden Himmel kann er nur die breiten Schwingen am Kampfhelm seines Vaters ausmachen.
    Der Wagen bewegt sich wieder, in die Schatten der verzierten schwarzen Tore. Sie schwingen auf, und ein Mann erscheint.
    »Ich entbiete euch ein Willkommen, Drada«, sagt er. Die Stimme paßt nicht zu der silbernen Rüstung, die er trägt. Diese Stimme hat einen sanften Klang; es ist die Stimme eines Dichters.
    »Ich bringe dir meinen Sohn«, antwortet der Graf. Seine Stimme ist schroff, die eines Soldaten.
    Vintar geht zu dem Wagen und betrachtet das Kind. Er legt ihm eine Hand auf die blasse Stirn, lächelt und tätschelt dem Jungen den Kopf.
    »Komm und geh mit mir, Junge«, sagt er.
    »Er kann nicht gehen«, erklärt Drada.
    »Doch, er kann«, entgegnet Vintar.
    Der Junge richtet die Augen fragend auf Vintar, und zum erstenmal in seinem einsamen Leben spürt er die Berührung mit einem anderen Geist. Es gibt keine Worte. Vintars sanftes Dichtergesicht kommt mit dem Versprechen von Stärke und Freundschaft zu ihm. Die schwächlichen Muskeln an Serbitars magerem Körper beginnen zu zittern, als Kraft in ihn strömt, die unbenutzte Zellen neu belebt.
    »Was ist mit dem Jungen los?« fragt Drada beunruhigt.
    »Nichts. Verabschiede dich von deinem Sohn.«
    Der rotbärtige Krieger wendet sein Pferd nach Norden und blickt auf das weißhaarige Kind hinab. »Tu, was man dir sagt. Sei ein braver Junge.« Er zögert... tut so, als würde sein Pferd scheuen. Er versucht, Worte für den letzten Abschied zu finden, aber es gelingt ihm nicht. Er hatte immer Schwierigkeiten mit diesem rotäugigen Kind. »Sei brav«, wiederholt er. Dann hebt er den Arm und führt seine Männer nach Norden auf die lange Heimreise.
    Als der Wagen weggezogen wird, strömt strahlendes Sonnenlicht auf die Pritsche, und der Junge reagiert, als hätte man ihn aufgespießt. Sein Gesicht spiegelt Schmerz wider; er kneift die Augen fest zusammen. Vintar sucht sanft seinen Geist und pulst: »Steh jetzt auf und folge den Bildern, die ich dir auf deinen Augenlidern zeige.«
    Sofort läßt der Schmerz nach, und der Junge kann sehen, deutlicher als je zuvor. Und seine Muskeln tragen ihn schließlich - ein Gefühl, das er vergessen zu haben glaubte, seit er vor einem Jahr im Schnee der Delnoch-berge zusammengebrochen war. Von diesem Moment an war er gelähmt gewesen und konnte nicht sprechen.
    Jetzt steht er, und mit fest geschlossenen Augen sieht er klarer als je zuvor. Ohne Schuldgefühl stellt er

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