Die Vertraute des Königs: Historischer Roman (German Edition)
LONDON 1355
Unsere Pfarrkirche St. Antonin in der Watling Street östlich von St. Paul’s Cathedral war wochentags vom steten Gesumm der Stiftungsmessen erfüllt. Schon lange wurde unsere Gemeinde von wohlhabenden Händlern geprägt, deren Glaubensbekenntnisse sich vor allem aus dem Lehrsatz Jesu ableiteten, eher würde ein Kamel durch ein Nadelöhr gehen, denn dass ein Reicher ins Reich Gottes komme, und so stifteten sie große Summen, für die nach ihrem Tod Messen gelesen werden sollten. Da es sich um eine alte Gemeinde handelte, in der viele wohlhabende, Erlösung begehrende Männer und deren Frauen begraben lagen, waren die mit den Messstipendien betrauten Priester fast pausenlos mit Gebeten beschäftigt.
Ich verbrachte an Werktagen gerne meine Zeit in St. Antonin. Es war der einzige Ort, den ich allein, ohne Begleitung eines Erwachsenen, aufsuchen durfte, und hier fühlte ich mich sicher. Das Gemurmel der betenden Priester umhüllte mich, und die vertrauten Gemälde und Statuen unseres Erlösers, der Heiligen Mutter Gottes und all der Heiligen erinnerten mich daran, dass ich den Satan niemals zu fürchten brauchte, solange ich nur meine Gebete aufsagen und den mir auferlegten Pflichten nachkommen würde. Ich war glücklich naiv, unschuldig in den Dingen des Lebens.
Sonntags und an wichtigen Festtagen fehlte der Atmosphäre des Kirchleins diese Geborgenheit eines Mutterschoßes, da an solchen Tagen mit Ausnahme der Bettlägerigen
alle Gemeindemitglieder die Messe besuchten. Dann protzten die reichen Kaufleute mit ihrem Erfolg, indem sie stolz ihre vornehm gekleideten Familien zur Schau stellten, während die Klatschmäuler aufmerksam jede Veränderung in der Versammlung, oder besser gesagt, jede Veränderung bei den Versammelten genau registrierten – etwa eine geschwollene Lippe oder ein geschwollener Bauch, verborgen unter einem verräterisch weit geschnittenen Gewand, oder ein sündhaft teurer neuer Kopfputz –, auf dass nach der Messe und in den Folgetagen alle Beobachtungen ausgiebig beredet und aufgeklärt werden konnten. An diesen geschäftigeren Tagen sonnte auch ich mich im Licht meiner stattlich anzuschauenden Familie.
Es dürfte mir schon lange bewusst gewesen sein, dass St. Antonin sonntags außerdem als Hochzeitsmarkt diente, aber dank des Talents, das wir als Kinder darin besitzen, alles zu ignorieren, was uns nicht betrifft oder interessiert, habe ich mich um diesen Aspekt des Tages nie gekümmert. Bis ich an die Reihe kam.
Ich beginne meine Geschichte damit, wie ich an diesem Ort, der wochentags meine sichere Zufluchtsstätte war, zum ersten Mal als Handelsware präsentiert wurde. Es war der Herbst nach meinem dreizehnten Geburtstag.
Es bedeutete keine Überraschung für mich, dass ich verheiratet werden würde, sobald ich das entsprechende Alter erreicht hatte. Der Wert, den ein Mädchen wie ich für seine Familie besaß, war seine Vermählbarkeit, entweder an einen Sterblichen oder an Christus. Solange ich zurückdenken kann, war mir dieser Sachverhalt klar, und von der Bereitschaft, mich in ein Kloster eintreten zu lassen, hatten meine Eltern nie gesprochen. Vater war ein angesehenes Mitglied seiner Kaufmannsgilde, ein Händler von feinem Tuch und Edelsteinen sowie Teilhaber einer Seehandelsgesellschaft.
Meine Vermählung sollte ihm mehr Wohlstand oder einen höheren gesellschaftlichen Rang einbringen, am besten beides.
Ich machte es den Plänen meiner Eltern leicht – anmutig, gut gebaut, schicklich, geistreich, dabei aber keineswegs offen eigenwillig. Ebenso vorzeigbar und ansehnlich wie Vaters Edelware. Ich selbst war bereit und willig, mich verloben zu lassen, da ich annahm, mein Leben würde erst mit diesem Schritt beginnen. Und das Ergebnis des Sonntags, von dem ich nun berichten möchte, bestimmte zweifellos den Rest meines Lebens, im Guten wie im Schlechten.
Kurz zuvor hatte mein erster Monatsfluss eingesetzt, was ich sofort als klares Warnzeichen begriff, dass meine Eltern demnächst anfangen würden, nach einer für die Familie vorteilhaften Verbindung für mich Ausschau zu halten. Dass sie derart rasch in Aktion treten würden, hatte ich allerdings nicht erwartet. Auf die übliche eisige Weise erklärte mir Mutter, ich sei jetzt in dem Alter, meine Rolle in der Familie zu erfüllen und die Verknüpfung zu einer anderen erfolgreichen Kaufmannsfamilie herzustellen, und daher sehe sie keinen Anlass, noch länger zu warten.
»Das Geld, das wir bislang für deinen Besuch der
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