Die Legende
nach.
»Als wollte man das Meer mit einem Eimer auffangen«, rief Togi.
Über ihnen faßten die Nadir auf der Brüstung Fuß und trieben einen Keil in die Formation der Drenai. Orrin erkannte die Gefahr und stürmte mit fünfzig Mann der neuen Gruppe zu Karnak voran. Rechts unterhalb von ihnen donnerte ein Rammbock gegen die gewaltigen Tore aus Eiche und Bronze. Noch hielten die Tore, aber unter den gekreuzten Mittelbalken zeigten sich bereits feine Risse, und das Holz ächzte unter dem Aufprall.
Orrin kämpfte sich zu dem Keil der Nadir durch, sein Schwert beidhändig schwingend, zuschlagend und stoßend, ohne sich selbst zu verteidigen. Neben ihm fiel ein Drenai-Krieger mit durchschnittener Kehle. Orrin hieb dem Angreifer einen rückhändigen Schlag ins Gesicht; dann wehrte er einen Angriff von links ab.
Noch drei Stunden bis Einbruch der Dunkelheit. Bow-man kniete im Gras hinter der Brustwehr, drei Köcher voller Pfeile vor sich. Kühl legte er einen Pfeil auf die Sehne, spannte und schoß. Ein Mann links von Orrin fiel; der Pfeil war ihm in die Schläfe gedrungen. Dann fiel ein zweiter Nadir unter Orrins Schwert, ehe ein weiterer Pfeil einen dritten fällte. Der Keil brach auseinander, als die Drenai sich vorwärts schlugen.
An der Treppe verband Togi eine lange Schnittwunde an seinem Unterarm, während eine frische Abteilung von Legionskriegern den Eingang hielt. Gilad lehnte sich gegen einen Felsen und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Ein langer Tag«, sagte er.
»Er wird noch länger«, murmelte Togi. »Sie spüren, wie nahe sie daran sind, die Mauer zu nehmen.«
»Ja. Was macht der Arm?«
»Geht schon«, antwortete Togi. »Wohin jetzt?«
»Hogun sagt, wir sollten dort einspringen, wo wir gebraucht werden.«
»Das kann überall sein. Ich gehe zum Tor. Kommst du mit?«
»Warum nicht?« erwiderte Gilad lächelnd.
Rek und Serbitar säuberten einen Abschnitt der Brustwehr; dann rannten sie los, um zu Orrin und seiner Gruppe zu stoßen. Überall auf der Mauer geriet die Verteidigungslinie ins Wanken. Aber sie hielt.
»Wenn wir aushalten können, bis sie sich für den nächsten Angriff neu formieren, haben wir vielleicht noch Zeit, alle hinter Valteri zurückzuziehen«, rief Orrin, als Rek sich zu ihm durchkämpfte.
Noch eine Stunde lang tobte der Kampf; dann brach die große, bronzene Spitze des Rammbocks durch das Tor. Der riesige Mittelbalken gab nach, als sich ein Riß bildete; dann glitt er knarrend und ächzend aus seiner Verankerung. Der Rammbock wurde langsam zurückgezogen, um Platz für die Kämpfenden zu machen.
Gilad schickte einen Läufer auf die Brustwehr, der entweder Rek oder einen der Gans informieren sollte. Dann zog er sein Schwert und wartete mit fünfzig anderen, um den Eingang zu halten.
Er bewegte den Kopf hin und her, um die verspannten Nackenmuskeln zu lockern, und sah Togi an. Er lächelte.
»Was ist so komisch?«
»Meine eigene Dummheit«, antwortete Togi. »Ich habe vorgeschlagen, zum Tor zu gehen, damit wir uns ein bißchen ausruhen können. Jetzt stehen wir dem Tod gegenüber.« Gilad sagte nichts. Tod! Sein Freund hatte recht -für die Männer am Tor gab es kein Entkommen zu Mauer Fünf. Er fühlte den Drang, davonzulaufen - und unterdrückte ihn. Was spielte es schon für eine Rolle? Er hatte in den letzten Wochen genug vom Tod gesehen. Und wenn er überlebte, was sollte er dann tun? Wohin sollte er gehen? Zurück zu seinem Hof und seiner langweiligen Frau? Irgendwo alt werden, zahnlos und senil und endlose, langweilige Geschichten von seiner Jugend und seinem Mut erzählen?
»Große Götter!« sagte Togi plötzlich. »Sieh dir das an!«
Gilad drehte sich um. Uber das Gras kam langsam Druss auf sie zu, auf das Mädchen Caessa gestützt. Er taumelte und stürzte fast, doch sie hielt ihn fest. Als sie näher kamen, schluckte Gilad das Entsetzen hinunter, das er fühlte. Das Gesicht des Mannes war eingefallen, es war bleich und schimmerte bläulich, wie eine zwei Tage alte Leiche. Die Männer traten beiseite, als Caessa Druss in die Mitte ihrer Reihen lenkte; dann zog sie ein kurzes Schwert und stellte sich neben ihn.
Die Tore öffneten sich, und die Nadir strömten hindurch. Mit großer Mühe zog Druss Snaga. Er konnte kaum etwas sehen durch die Schleier aus Schmerzen, und jeder Schritt war eine Qual gewesen. Caessa hatte ihn sorgfältig angezogen und dabei die ganze Zeit geweint; dann hatte sie ihm auf die Füße geholfen. Er selbst hatte angefangen zu
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