Die Legenden der Albae: Tobender Sturm (Die Legenden der Albae 4) (German Edition)
der Gesuche stand, die sehnigen Hände vor dem Gürtel zusammengelegt, die schlanken, doch kräftigen Arme hingen locker herab. »Fandet ihr ihn?«
»Noch nicht«, antwortete die rothaarige Todestänzerin. »Nach seinem Sturz über die Zinnen bleibt der kleine Kaiser verschwunden. Ich denke, er liegt unter dem Steinhaufen.«
Shôtoràs musste grinsen, weil jeder die Anrede des höchsten Titels als Beleidigung einsetzte, sobald von Aiphatòn die Rede war. »Kannst du ausschließen, dass er sich mit Magie rettete?«
Tanôtaï machte ein unschlüssiges Gesicht. »Wir sahen, wozu er imstande ist. Diese Entladung, als meine Magie auf seine traf, war unvergleichlich.«
Shôtoràs blieb ruhig, weil er viel eher mit einem Leichenfund gerechnet hatte. »Es wäre zu schön gewesen, ihn zu fassen zu bekommen. Ich hätte ihm zu gerne diese Metallstücke aus dem Körper schneiden und dir eine Waffe daraus schmieden lassen.«
Sie lächelte dankbar. »Zu viel der Ehre.«
Shôtoràs nahm das Bein von der Holzplatte. »Es war ein Fehler, ihn jagen zu wollen«, sprach er zu ihr und erhob sich, stützte sich auf den Stock. »Wir hätten ihn einlullen und nach Elhàtor senden sollen. Er hätte die Herrscherin und ihren Sohn für uns töten können. Damit wären wir von jedem Verdacht befreit gewesen und hätten es auf eine alte Fehde zwischen ihnen schieben können. Der Abschaum aus Tark Draan wäre Geschichte.« Langsam hinkte er die Stufen hinab.
»Blieben aber noch Leïóva und ihre Tochter.«
»Die Elbin ist nur noch am Leben, weil sie Modôias Vertraute ist. Ohne ihren Schutz würde sie von den Elhàtorianern verstoßen, samt des Blags. Und danach kämen die Bewohner zu uns, nach Dâkiòn, und suchten Beistand, den ich gewähren würde.« Shôtoràs legte eine Hand auf ihre nackte Schulter, die Tätowierungen fühlten sich heißer an als die reine Haut. »Aber diese Gelegenheit ließ ich verstreichen. Nun hat sich der Kaiser durch einen Zauber gerettet, schätze ich.«
Tanôtaï machte eine sauertöpfische Miene. »Ich lasse die Klippe trotzdem genau absuchen. Die Männer werden sich abseilen, und die Cîani werden mit Schwebezaubern auf die Suche gehen. Es mag sein, dass er an einem Vorsprung hängt, der uns des Nachts verborgen blieb. Und da ist noch der Schuttberg.«
Shôtoràs drückte leicht zu, dann zog er die Hand zurück. »Bevor das geschieht, gehe und verfolge Saitôra. Sollte sie versuchen, mit jemandem über ihre Zeit auf Elhàtor zu reden und die Bewohner meiner Stadt aufzuwiegeln, bringe sie zum Schweigen.«
»Würde sie das tun?« Die rothaarige, sehr schlanke Albin schien nicht überzeugt zu sein.
»Als sie mir die Nachricht meiner unnützen Nichte gab, sah ich einen zweiten Umschlag, den sie verborgen in einer Kleidfalte trug. Da sie ihn nicht erwähnte, fürchte ich, hat Irïanora sich etwas ausgedacht, um die Bewohner gegen mich aufzubringen und laut den Krieg zu fordern. Das darf ich nicht zulassen.«
»Ich verstehe. Der Mord soll heimlich geschehen, nehme ich an, oder …?«
»In aller Heimlichkeit. Die Leiche wirfst du von der großen Brücke.«
Tanôtaï verneigte sich und verschwand im nächsten Lidschlag mit einem leisen Geräusch, das der Zauber jedes Mal auslöste. Die Todestänzerin beherrschte einmalige Fähigkeiten. Die von ihr entfachte Windböe kam schlagartig auf und blies die Schnipsel vom Tisch.
Trudelnd und kreiselnd regneten sie auf die Platten, fielen mal mit den Buchstaben nach oben, mal nach unten. Ohne erkennbares Muster lagen sie zu seinen Füßen, lediglich zwei der Fetzchen schwebten der Decke entgegen, als würde der einfallende Sonnenstrahl sie antreiben.
Jetzt haben wir Nodûcor, und doch bringt er uns keinerlei Nutzen. Verärgert schritt er über die Fetzen hinweg und humpelte aus dem Saal durch den Korridor, um in die Küche zu gelangen und sein Morgenmahl einzunehmen. Da wirft ihn uns Samusins Fügung in den Schoß, und kurz darauf stirbt der einzige Cîanoi, der ihm diese verfluchte Halbmaske hätte abnehmen können!
Shôtoràs durchquerte seinen Palast, ohne sich an den Kunstwerken und Säulenverzierungen zu erfreuen.
Sie hatten Cushròk und seine Leute angeheuert, um den unersetzlichen, einmaligen Alb zu jagen und zu überwältigen, was ihnen offensichtlich gelungen war.
Der Kaiser wird ihn befreit haben, überlegte er.
Aber da weder Aiphatòn noch Nodûcor ahnten, wer eigentlich hinter der Entführung steckte, kamen sie arglos nach Dâkiòn. Zu den
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