Die Legenden der Albae: Tobender Sturm (Die Legenden der Albae 4) (German Edition)
Sonnenzyklus), Sommer
Am frühen Morgen wurde Shôtoràs mittels eines Dieners geweckt, der neben seinem Bett stand und ihn sachte an der Schulter rüttelte.
»Was ist geschehen?«, fragte er und war sofort hellwach. Niemand wagte es unter normalen Umständen, ihn aus dem Schlummer zu reißen.
»Saitôra ist aus Elhàtor zurück«, antwortete der Untergebene und verbeugte sich entschuldigend. »Sie bringt Nachricht von deiner Nichte.«
» Nur Saitôra?«
Der Alb nickte und hielt ihm den schwarzen Hausmantel hin, in den Shôtoràs beim ungelenken Aufstehen schlüpfte. »Sie kam alleine. Die Elhàtorianer setzten sie bei der Flussenge ab, unsere Leute fuhren sie den Tronjor hinauf.«
Shôtoràs griff nach seinem Gehstock, ließ sich die schwarzledernen, bestickten Schuhe anziehen und eilte humpelnd aus den Gemächern in die Halle der Gesuche, wo er vor wenigen Splittern noch diesen lächerlichen Kaiser des Abschaums empfangen hatte. Er wischte die silbriggrauen Haare nach hinten, ohne sich mit Frisieren aufzuhalten. Es gab Wichtigeres.
Saitôra stand verloren mitten im Raum, während er die Treppe hinauf zum Podest humpelte und sich an das Pult setzte, sie dabei ungeduldig zu sich winkte. Sie trug ein blau-silbernes Kleid, auf dem Muster aus Elhàtor eingewoben waren.
Sie hätte sich umziehen können. »Tritt näher«, sagte er. »Und habe keine Angst. Ich weiß, dass Irïanora dich und die anderen beiden mit einer fadenscheinigen Begründung aussandte.«
Die junge Albin nickte erleichtert. »Ich komme mir so dumm vor, Regent.« Sie nahm einen Umschlag aus ihrem Kleid, warf einen Blick darauf und hielt ihn in der Rechten.
»Das bist du auch. Dich von meiner Nichte benutzen zu lassen, um einen Krieg zu entfesseln, ist das Törichtste, was ich in den letzten Teilen der Unendlichkeit erleben musste«, erwiderte er. »Was hast du da? Und wo ist der Rest von euch Flussseefahrern?« Er streckte den Arm aus.
Saitôra gab ihm den Umschlag in die Höhe, sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen; ihre Finger bebten. »Gathalor und Iophâlor sind tot. Die Späher aus Elhàtor erschlugen sie, nachdem sie unversehrt aus dem Wasser gezogen worden waren«, erzählte sie mit brüchiger Stimme. »Vor meinen Augen zerschmetterten sie ihnen die Schädel.« Sie schluckte. »Irïanora blieb als Austausch für mich auf der Insel. Regent, ich war nie eine Freundin des Krieges, doch wie sie mit …«
»Schweig«, befahl er leise und eiskalt.
Seine Gesichtsfarbe war gewichen, gerade so vermochte er die Wutlinien aufzuhalten. Gathalor – tot? Inàste, bewahre meine Seele vor dem Zerspringen!
Er öffnete die versiegelte Nachricht, die an ihn gerichtet war und aus der Hand seiner Nichte stammte.
Verehrter Oheim,
ich blieb in Elhàtor, um Saitôra eine Heimreise zu ermöglichen und Dir diese Zeilen senden zu können. Denn diese Nachricht wurde an den aufmerksamen Herrschern vorbeigeschmuggelt, damit Du die Wahrheit erfährst.
Gathalor und Iophâlor sind tot, ermordet von Modôias schändlichen Spähern.
Und auch mein Leben wird erlöschen, sollte jemals ein Bewohner Dâkiòns über die Flussenge hinaus stromabwärts zum Meer fahren.
Ich bin in den Augen der Herrscherin die vermeintliche Garantin für den Frieden zwischen den Städten – und doch bitte ich Dich: Greife an! Mit allem, was unsere Krieger und unsere Cîani vermögen.
Sie haben eine Flotte gebaut, die sie im Inneren der Insel in einer Grotte verbergen. Saitôra sah sie mit eigenen Augen.
Modôia täuscht Dich und alle Bewohner Dâkiòns über ihre wahren Absichten. Das Geheuchel über ein friedliches Nebeneinander ist durchschaut. Sie wird uns angreifen!
Lange kann es nicht mehr dauern.
Ich weiß, dass Du meine Haltung niemals für gut befandest und dass Du der Ansicht bist, es sei genug albisches Blut geflossen. Doch wenn Du es nicht vergießt, wird die Herrscherin damit beginnen und auf alles eine Antwort haben, was Du ihr entgegenwirfst.
Mein Leben gebe ich dafür gerne.
Ich denke an Dich und Dâkiòn und übermittle Dir meine trauernden Grüße!
Lass Gathalor und Iophâlor nicht umsonst gestorben sein.
Irïanora
Shôtoràs zerriss den Brief und legte die Schnipsel fein säuberlich aufeinander, was Saitôra mit großen Augen verfolgte. Ich durchschaue dich, Nichte. Auch mit diesem Schmerz, den du mir zufügst, schadest du letztlich dir selbst.
»Lass dich nicht von ihr täuschen«, sagte er zur jungen Albin. »Irïanora blieb, weil sie sich davor
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