Die Legenden der Albae - Vernichtender Hass
Kinnbart trug, sah Carmondai rätselnd an. »Bist du ein Beauftragter der
Nostà roi und gekommen, um uns zu überwachen?« Sein Blick legte sich für ein,
zwei Herzschläge auf Morana.
»Er
ist Carmondai, der Meister in Wort und Bild«, rief sie vom Sattel herab. »Er
möchte Dsôn Faïmon berichten, was im Grauen Gebirge vor sich geht.«
»Carmondai?«
Der Alb neigte das graue Haupt. »Ich bin ein Verehrer deiner Kunst! Niemals
hätte ich gedacht, dich einmal persönlich zu treffen. Ich bin Durùston.«
Durùston! Carmondai kannte den Namen. Er gehörte einem
Skulpteur, der in Riphâlgis lebte und dafür bekannt war, Stelen aus
metallisierten Knochen und präparierten Eingeweiden zu fertigen. Seine Werke
standen in den Häusern der Mächtigen von Dsôn. »Meinen GruÃ, denn auch du bist
für mich kein Niemand.« Er zeigte auf die Leichen. »Also ist dies Material für
deine nächste Schöpfung?«
Durùston
lächelte verschmitzt. »Teils, teils. Ich bat die Nostà roi, mir die Leichname
der Unterirdischen zu überlassen, für die es keinerlei Verwendung gibt und auf
die sie keinen Anspruch erheben.« Er zeigte den Gang entlang. »Dort habe ich in
einer ehemaligen Schmelze eine Werkstatt eingerichtet. Meine Sklaven und meine
Schüler verwerten die Leiber: Knochen und Sehnen für die Skulpteure, Blut und
Haut für die Schreiber und Maler, Haare und Bärte für die Pinsel. Wobei«,
Durùston machte ein betrübtes Gesicht, »sich die Barthaare nicht sonderlich gut
eignen. Sie sind zu hart. Wir müssen sie erst mit Essig weich kochen, und ich
weià nicht, ob sich der Aufwand lohnt. Dazu noch der Transport durch IshÃm
Voróo ⦠Ich sollte Bürsten daraus machen!«
Carmondai
musste lachen. »Vom Künstler zum Kaufmann.«
Durùston
wirkte ertappt. »Man muss an die Zeiten in der Unendlichkeit denken, wenn der
Name einmal nicht mehr gefragt sein könnte.« Er wandte sich zum Gehen. »Du bist
jederzeit ein willkommener Gast in meiner Werkstatt, wenn du sie zeichnen
möchtest. Die Anatomie der Unterirdischen ist aufschlussreich; sie zu kennen
kann bei zukünftigen Kämpfen von Vorteil sein.«
»Zukünftige
Kämpfe?« Carmondai wechselte mit Morana einen raschen Blick. »Ich denke, wir
haben sie besiegt?«
»Noch
nicht«, antwortete ihm Durùston. »Es gibt tief im Grauen Gebirge noch einige
Bastionen, die wir einnehmen müssen. Die Hauptschlacht haben wir gewonnen, das
ist richtig. Doch die Unterirdischen sind zäh. Ich sagte ja, ihre Anatomie ist
aufschlussreich. Sie werden uns noch lange beschäftigen, glaube mir.« Er gab
das Zeichen zum Weiterfahren und folgte dem Karren. »Du bist jederzeit
eingeladen«, rief er.
»Danke
sehr.« Carmondai kehrte zu dem Nachtmahr zurück, verstaute seine
Schreibutensilien, Morana war ihm beim Aufsteigen behilflich. »Wie hat er das
gemeint?«, fragte er sie.
Sie
lieà den Rappen antraben. »Wie er es gesagt hat: Es gibt kleine Festungen, in
denen sich die Unterirdischen mit ihren Familien verschanzt haben.
Verzweifelter Widerstand, nichts von Dauer.« Sie klang zuversichtlich,
herablassend, als redete sie von Belanglosigkeiten.
Schweigend
ritten sie durch das unterirdische Reich, das sich seit Kurzem in der Hand der
Albae befand.
Immer
wieder entdeckte Carmondai dunkelrote Blutspuren am Boden und an den Wänden,
die von den einstigen Herrschern im Berg stammten. Die Toten
sind bestimmt von Durùston weggeschafft worden.
SchlieÃlich
gelangten sie in einen Bereich, in dem die Insignien der Nostà roi angebracht
waren. Banner und Fahnen der Albae hingen von den hohen Decken, die Runen der
Unterirdischen waren mit Hammerschlägen zerstört worden. Das Schicksal der
Besiegten.
Auch
wenn sich Carmondai nicht ängstigte, meilenhohes Gestein über sich zu wissen,
fühlte er sich nicht wirklich wohl. In Riphâlgis hatte er sein Haus so
errichtet, dass er von dort aus einen wunderschönen Ausblick weit über ein Tal
hatte. Er mochte diese scheinbare Unendlichkeit, in der die Gedanken schweifen
konnten. Hier hatte er das Empfinden, begraben zu sein. Je
eher ich weiterreise, desto besser.
In
einer gewaltigen Halle zügelte Morana den Nachtmahr und stieg ab. Carmondai
folgte ihrem Beispiel.
Vielarmige
Ãlleuchter brannten rauchlos und sorgten für Licht, das
Weitere Kostenlose Bücher