Die Legenden des Raben 03 - Schattenherz
Unbekannte reagierte nicht auf die Bemerkung.
»Und du weißt dies alles, weil …« Hirad ließ den Satz unvollendet.
»Ich bin … der Herr vom Berge war mein Gebieter. Es gehörte zu meinen Aufgaben, dies alles zu wissen.«
»Ein Glück für uns.«
»Das hoffe ich.«
Der Unbekannte war nur kurze Zeit Protektor gewesen, begriff aber trotzdem, dass der scheinbare Wahnsinn der willkürlich angelegten Katakomben Methode hatte. Er verstand es so gut, als hätte er sein Leben lang nichts anderes gesehen. Der Kreis der Sieben sah sich ständig bedroht, und nicht selten wurde dem Leben seiner Mitglieder tatsächlich ein vorzeitiges, gewaltsames Ende gesetzt. So hatten sie rings um jeden Verteiler einen chaotischen Irrgarten von vollendeten oder unvollendeten Gängen geschaffen.
Es war eine verdrehte Art von Moral, die hier unten ihren Ausdruck fand. Mord durch Gift oder Klinge war in Xetesk seit jeher eine durchaus anerkannte Methode, um eine Beförderung zu erreichen, doch der Einsatz tödlicher Sperren in den Katakomben galt als unmoralisch. Natürlich war es etwas ganz anderes, uneingeladen einen Raum zu betreten, doch in den unzähligen Gängen, die man mehr oder weniger für neutrales Territorium hielt, kamen solche Fallen nicht infrage.
Der Unbekannte bezweifelte nicht, dass sie viele Alarmsignale und Warnmeldungen ausgelöst hatten, durch die jeder aufgeschreckt wurde, der hier unten arbeitete, doch das war ein Risiko, das sie eingehen mussten. Es wäre geradezu selbstmörderisch gewesen, wenn sie versucht hätten, alle Warnvorrichtungen zu umgehen, denn dann hätten die Verfolger sie im Nu eingeholt.
Auum bewegte sich am Ende der Gruppe in gemächlichem Trab. Seine Glieder waren noch lange nicht müde, doch er war unglücklich. Zum ersten Mal im Leben hatte er das Gefühl, die Situation nicht unter Kontrolle zu haben. Tief in der Erde unter einer balaianischen Stadt durch stinkende Gänge zu laufen, das konnte er mit seinen bisherigen
Erfahrungen nicht in Einklang bringen. Allerdings vermochte er die Struktur der Hohlräume im Fels zu fühlen. Das war immerhin ein Strohhalm, an den er sich klammern konnte.
Die jüngsten Ereignisse hatten nicht nur ihn, sondern alle Elfen verwirrt, und Rebraals Erklärung hatte kaum geholfen. Er verstand, dass die Frau, die Erienne hieß, alte magische Kräfte der Elfen in sich trug, und dass die Feinde eine Al-Drechar ermordet hatten, um Erienne in ihre Gewalt zu bekommen. Das war die typische menschliche Dummheit. Die TaiGethen würden sich ein andermal darum kümmern.
Er hob die Hand, und seine Tai blieben stehen. Die Schritte der anderen entfernten sich langsam. Marack drehte sich um, doch er winkte ihr, sie solle weitergehen. Es wäre nicht schwer, sie wieder zu finden, dafür sorgte schon der Lärm, den der Rabe machte.
»Wir werden beten und lauschen«, sagte er. Die Tai sanken auf die Knie. »Yniss, erhöre uns. Tual, erhöre uns. Leite unsere Sinne an diesem Ort. Die Luft ist schlecht, hier fliegt kein Vogel, und hier pirscht kein Tier. Kein Baum kann hier überleben, kein Flusswesen kann hier schwimmen. Yniss, wir bitten dich, schau auf uns herab, während wir dein Werk vollbringen und zurückholen, was gestohlen wurde. Wir sind und bleiben deine Diener.«
Sie verharrten kniend und lauschten angestrengt, ob sie etwas wahrnehmen konnten. Auum hörte immer noch die anderen, die sich entfernten. Er prägte sich die Richtung ein, die sich nicht verändert hatte, auch wenn ihre Schritte langsamer geworden waren. Er drehte sich um. Hinter ihnen und links von ihnen näherten sich die Feinde. Anscheinend bewegten sie sich in einem parallelen Gang, auch wenn man es schwer erkennen konnte.
»Hört ihr sie?«, fragte er.
Duele und Evunn nickten.
»Macht eure Bogen bereit. Meiner ist zerbrochen, als wir gegen den Wind ankämpfen mussten.« Er stand auf und winkte seinen Tai, ihm zu folgen. »Ich bin es müde zu rennen. Wir werden jetzt jagen. Tai, es geht los.«
Lesen Sie weiter in:
JAMES BARCLAY: Zauberkrieg
Weitere Kostenlose Bücher