Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
legte das Mikrofon beiseite. Sie fürchtete sich davor, nach unten in die erste Reihe zu blicken. Einer der wachhabenden
     Offiziere sagte rasch etwas zu einem anderen. Der ging hinaus, und gleich darauf kamen mehrere Soldaten mit Maschinengewehren
     durch die beiden Saaltüren gerannt.
    »Gib Antwort, wenn man dich fragt!« sagte einer der Vertrauten des Goldzahns friedlich.
    »Na, auch wenn du einen Mann hast«, der Goldzahn schwenkte verächtlich seinen tätowierten Arm, »ich will ja schließlich nur
     deine Freundschaft. Werde meine Freundin, Grauäugige! Hier und jetzt. Ich weiß auch einen passenden Ort, wo wir allein sein
     können, glaub mir, auch das gibt es hier.«
    Die beiden Gorillas erhoben sich träge, gleichsam widerwillig, von ihren Stühlen und bewegten sich auf die Bühne zu. Im gleichen
     Moment sprangen Mitja und Olga zu Lena und stellten sich dicht neben sie. Einen Bühnenausgang gab es nicht, heraus kam man
     nur durch den Saal.
    Einen Augenblick später waren alle drei von Soldaten umringt, und sie verließen schwer bewacht den Saal.
    Im Büro des Anstaltsdirektors kam Lena wieder zu sich. Sie stürzte ein Glas Wasser hinunter und zündete sich eine Zigarette
     an. Jetzt erst hörte sie auf zu zittern.
    »Erklären Sie mir, was ich falsch gemacht habe«, sagte sie leise zum Direktor, einem älteren Oberst.
    »Hier herrschen eigene Gesetze, Sie sind nicht verpflichtet, sie zu kennen. Dieser Slepak ist ein Entehrter 1 , das heißt jemand, den alle verachten. Und der in der ersten Reihe, Grizenko, ist eine Autorität, ein König der Diebe. Sie haben einen gelobt, den man nur verhöhnen darf, und damit das
     Gesetz verletzt. Aber machen Sie sich nichts draus, im letzten Jahr war hier ein Autor von der Zeitschrift ›Jugend‹, der ist
     darauf verfallen, eine Erzählung mit einer freizügigen Liebesszene vorzulesen.«
    »Und was ist passiert?« fragte Mitja.
    »Die Leute haben die Bühne gestürmt, dort standen zwei Frauen, eine Abteilungsleiterin in mittleren Jahren und eine noch ganz
     junge Korrespondentin. Wir mußten gewaltsam einschreiten, es gab eine regelrechte Schlägerei auf der Bühne. Dagegen ist das
     heute eine Lappalie.«
    »Sagen Sie, wenn es so gefährlich ist, warum veranstalten Sie dann so etwas?« erkundigte sich Olga.
    »Nun, so schrecklich gefährlich ist es auch wieder nicht«, sagte der Direktor lächelnd. »Die Wachen sind bewaffnet und haben
     alles unter Kontrolle. Die Zone ist eben die Zone, aber auch hier leben Menschen.«
    »Wofür sitzt dieser Slepak?« fragte Lena.
    »Artikel 161, Absatz a. Raub. Er hat zusammen mit einem Freund einen Laden überfallen.«
    ***
    Sie tranken gerade in ihrem Hotelzimmer Tee, als der Komsomolze Wolodja erschien. In seiner Begleitung war ein hochgewachsener,
     breitschultriger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren, mit hellem Haar, angenehmen, intelligenten Gesichtszügen und klugen,
     etwas hilflos blickenden grünblauen Augen. Auf der Brusttasche seiner dunkelblauen Windjacke leuchtete das kleine rote Komsomolabzeichen.
    »Das ist Wenjamin Wolkow, Leiter der Kulturabteilung im Komsomolkomitee von Tobolsk«, stellte Wolodja ihn vor. »Er wird euer
     Betreuer sein.«
    »Wenjamin. Sehr angenehm«, sagte der Komsomolze aus Tobolsk und schüttelte allen der Reihe nach die Hand.
    Er hatte ein offenes, charmantes Lächeln und einen weichen, leisen Bariton. Überhaupt war er sehr viel sympathischer als der
     Angeber Wolodja.

Kapitel 13
    Moskau, März 1996
    »Wahrscheinlich ist es sinnlos, daß ich Sie anrufe. Aber ich hatte das Gefühl, daß Sie auch … also, daß Sie auch glauben,
     Mitja hat es nicht selbst getan. Oder irre ich mich, ist Ihnen das genauso egal wie den anderen?« Der hysterische Unterton
     in Katjas Stimme war verschwunden. Jetzt klang sie monoton und teilnahmslos.
    Lena fiel ein, daß die Stimmung bei Drogensüchtigen sehr oft wechselt.
    »Nein, Katja. Das ist mir nicht egal«, sagte Lena sanft.»Ich wollte auch noch einmal mit Ihnen sprechen. Verzeihen Sie mir, ich glaube, ich habe Sie neulich im Treppenhaus gekränkt.«
    »Nein, Sie haben mich überhaupt nicht gekränkt, ich benehme mich manchmal daneben. Wissen Sie, ich habe in Mitjas Jackentasche
     einen Zettel gefunden. Ich habe darüber schon mit einer anderen Person gesprochen, aber sie hat gesagt, das sind Fieberphantasien.
     Sie ist eine nette Frau, eine Ärztin, und sie will mir helfen. Aber ich muß noch mit jemand anderem darüber reden, der mir
     nicht sagt,

Weitere Kostenlose Bücher