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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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fertig, setz
     dich zum Frühstück, in zwanzig Minuten erscheint der Komsomolze.«
    »Hier geht etwas Schreckliches vor sich…« sagte Mitja leise und zündete sich eine Zigarette an.
    »Auf nüchternen Magen rauchen, das hat noch gefehlt!« rief Olga drohend, versetzte ihrem Bruder einen leichten Klaps ins Genick,
     zog ihm die Zigarette aus dem Mund und drückte sie aus. »Was denn Schreckliches?«
    Mitja berichtete, was er gerade am Hotelbüfett erfahren hatte.
    Er war noch nicht ganz fertig, als es an der Tür klopfte. Auf der Schwelle stand der Komsomolze Wolodja, immer noch im selben
     grauen Anzug mit dem Abzeichen auf dem Revers.
    »Guten Morgen, Wolodja«, begrüßte Olga ihn höflich. »Möchten Sie Kaffee?«
    »Danke, da sage ich nicht nein«, sagte der Komsomolze, »nur möglichst schnell, draußen wartet das Auto.«
    Er nahm einen Schluck heißen Kaffee aus dem dünnen Hotelglas, betrachtete dann mit kritischem Blick Lena und Olga, schüttelte
     den Kopf und fragte:
    »Könnt ihr nicht etwas anderes anziehen?«
    »Wieso?« wunderte sich Lena. »Was gefällt Ihnen an unserer Kleidung nicht?«
    »Bei dir sieht man zuviel Bein, und Olga hat, pardon, einen zu großen Ausschnitt«, erklärte der Komsomolze ohne die geringste
     Verlegenheit.
    Lena trug einen hellen Faltenrock, der knapp über dem Knie endete, und Olga ein leichtes Sommerkleid, dessen tiefer Ausschnitt
     ihre üppige Brust recht offenherzig zeigte.
    Lena und Olga sahen sich empört an. Da mischte sich Mitja ein:
    »Hör mal, du Komsomol-Cardin, findest du nicht, daß sie selber entscheiden können, was sie anziehen? Sie sehen durchaus anständig
     aus, und es ist ja nicht jedermanns Sache, bei dieser Bruthitze im Anzug herumzulaufen!«
    »Was seid ihr Moskauer doch schnell beleidigt!« Wolodja zuckte die Schultern. »Ich gebe euch nur einen guten Rat. Nicht ich
     muß heute im BAA auftreten, sondern ihr.«
    »Wo?« fragten alle drei im Chor zurück.
    »Im BAA – in der Besserungs- und Arbeitsanstalt, das heißt in der Strafkolonie. Vor den Sträflingen solltet ihr besser keine
     große Schau abziehen und mit euren schönen Beinen und Busen angeben.«
    »Ich würde doch zu gern wissen«, sagte Olga entrüstet, »wer sich das ausgedacht hat, uns zu den Sträflingen zu schicken?«
    »Der Direktor der Strafkolonie hat darum gebeten. Letztes Jahr war eine Gruppe von der Zeitschrift ›Jugend‹ hier und ist im
     Lager aufgetreten. Künstler, Dozenten, sie treten alle dort auf. Schließlich sind auch Strafgefangene Menschen.«
    Zum Auftritt vor den Sträflingen fuhren Olga und Lena in langen Röcken und hochgeschlossenen langärmeligen Blusen. Der eigenartige,
     schwere Gefängnisgeruch traf Lena unvorbereitet. Während sie auf der Bühne vor dem Mikrofon stand, schaute sie hilflos im
     Saal umher. Alle schienengleich auszusehen, mit ihren rasierten Köpfen, in den Sträflingsjacken. Lena überlegte, daß es sicher besser sei, den Auftritt
     nicht mit einem Vortrag über ihre Zeitschrift oder mit einem Gespräch anzufangen, sondern mit einem von Mitjas Liedern.
    »Guten Tag«, sagte sie lächelnd in den Saal, »ich bin sicher, Sie alle kennen und lieben unsere Zeitschrift. Unsere Redaktion
     bekommt viele Briefe, in denen Sie uns Fragen stellen und Ihre Gedichte und Erzählungen schicken. Heute haben wir Gelegenheit,
     uns nicht per Post, sondern direkt miteinander zu unterhalten … Als erstes hören Sie den bekannten Moskauer Liedermacher und
     Sänger Dmitri Sinizyn.«
    Die Strafgefangenen erwiesen sich als dankbares und entgegenkommendes Publikum. Mitjas Lieder, Olgas Gedichte und Lenas Erzählungen
     über die Zeitschrift, die Arbeit der verschiedenen Redaktionen und alle möglichen komischen Leserzuschriften riefen lebhaftes
     Interesse, Zurufe und Beifall hervor. Man wollte sie gar nicht von der Bühne lassen, schrie ihnen Fragen zu und schickte Zettelchen
     hinauf.
    »Darf ich auf die Bühne kommen und meine Gedichte vortragen? Slepoi, ein zu Unrecht Verurteilter.«
    Lena las die Notiz und ergriff das Mikrofon.
    »Jemand, der sich Slepoi nennt, möchte seine Gedichte auf der Bühne vortragen«, teilte sie dem Saal mit.
    Der Saal begann zu lärmen und zu kichern.
    »He, Slepoi, du Hosenfurzer!«
    »So ein Klugscheißer!«
    »Interessiert ihr euch denn gar nicht für die Gedichte eures Kameraden?« fragte Olga. »Wenn er so gern auf die Bühne möchte,
     soll er kommen. Wir jedenfalls sind sehr gespannt.«
    Der Saal explodierte vor

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