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Die leichten Schritte des Wahnsinns

Die leichten Schritte des Wahnsinns

Titel: Die leichten Schritte des Wahnsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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ich deiner Meinung
     nach wohl eine geöffnete Büchse einpacken?«
    »Ein Geizkragen bist du, Bruderherz«, rief Olga aus dem Bad, schon mit der Zahnbürste im Mund. »Geh zum Hotelbüfett und kauf
     irgendwas. Nur Brot zum Frühstück ist zuwenig.«
    »Einverstanden. Aber wenn ich zurückkomme, möchteich euch gewaschen und angezogen und den Kaffee gekocht vorfinden.« Mitja stellte die Blechdose mit Zucker auf den Tisch.
    »Jawohl, Herr General!« salutierte Lena.
    Und Olga nuschelte, den Mund voller Zahnpasta, aus dem Bad: »Wir werden ja sehn, wer hier das Kommando hat!«
     
    Im Hotelbüfett im ersten Stock waren nur wenige Leute. Während die Büfettfrau die aufgeschnittene Wurst abwog, die gekochten
     Eier in Papier wickelte und mit dem Rechenbrett klapperte, blickte Mitja aus dem Fenster.
    Das Fenster ging auf einen kleinen Platz vor dem Hotel. Unmittelbar vor dem Eingang standen ein Polizeiauto und ein Krankenwagen.
     Mitja sah, wie zwei Sanitäter jemanden auf einer Trage aus dem Hotel brachten, der bis zum Kinn mit einem Laken bedeckt war.
    »Ist etwas passiert?« fragte er die mollige Büfettfrau.
    »Allerdings«, sagte sie mit einem tiefen Seufzer.
    Erst jetzt bemerkte Mitja, daß sie ganz rote, verweinte Augen hatte und auf ihren Wangen Spuren von zerlaufener Wimperntusche
     waren.
    »Die Tochter eines unserer Zimmermädchen hat man heute früh auf der Baustelle gefunden«, sagte sie aufschluchzend. »Vergewaltigt
     und ermordet hat man das Mädchen. Die Polizei wollte die Mutter holen, zur Identifizierung, aber ihr Herz hat versagt. Sie
     haben den Notarzt gerufen, und jetzt wird sie ins Krankenhaus gebracht.«
    »O mein Gott«, flüsterte Mitja.
    »Das Mädchen, Natascha, ist erst vor kurzem sechzehn geworden. Ich hatte ihr noch einen kleinen Anhänger aus Emaille geschenkt,
     ein Herz mit einer Rose, sie hat sich so gefreut. Man bekommt hier ja nur schwer etwas Hübsches zu kaufen, und das Mädel putzt
     sich doch so gern. Ihre Mutter, die Klawa, und ich, wir sind schon seit der SchuleFreundinnen. Sie hat Natascha allein aufgezogen, ohne Mann.« Die Büfettfrau schluchzte noch einmal auf und wischte sich mit
     dem Ärmel ihres weißen Kittels die Tränen aus den Augen. »Vor einem Monat hat es schon mal so einen Fall gegeben. Bloß kam
     da das Mädchen aus dem Waisenhaus, fünfzehn war es. Und die Polizei schaut untätig zu.«
    »He, Tamara, halt deine Zunge im Zaum«, ertönte eine befehlsgewohnte Männerstimme.
    Mitja blickte sich um. An einem der Tische saß ein würdevoll dreinschauender Dickwanst in weißem Hemd und mit Schlips und
     trank Tee aus einem Glas mit Untersatz.
    »Ich brauche vor nichts und niemandem Angst zu haben!« Tamara stemmte die Hände in die Hüften. »Ich sage die Wahrheit. In
     der Stadt ist ein Irrer am Werk und bringt Kinder um, im Frühjahr gab’s genauso einen Fall. Wenn wenigstens die Zeitungen
     oder das Radio uns warnen würden, daß wir die Kinder nicht aus den Augen lassen dürfen! Aber nein, alle schweigen, als wäre
     gar nichts passiert. Übrigens, Petrowitsch, du hast selber zwei Töchter.«
    »Und richtig, daß sie schweigen«, erklärte Petrowitsch wichtig. »Panikmache ist das letzte, was wir brauchen. Die Miliz tut
     ihre Arbeit, sie wird den Mörder fangen, er hat keine Chance!«
    »Ein Trottel bist du, Ehrenwort!« Die Büfettfrau schüttelte den Kopf. »Instrukteur beim städtischen Parteikomitee, und so
     ein Hornochse! Zwei Fälle hat es in Tobolsk gegeben, das waren auch zwei Mädchen, die irgendein Schwein vergewaltigt und umgebracht
     hat«, wandte sie sich an Mitja, »und allen ist’s egal.«
    »Das heißt, insgesamt vier Morde in diesem Bezirk?« fragte Mitja leise.
    »Natascha Koloskowa ist die vierte. Sie ist von der Disco nicht zurückgekommen, sie hatten gestern in der Berufsschule Nr.
     8 einen Disco-Abend. Klawa, ihre Mutter, hat bis zwei Uhr nachts auf sie gewartet, dann ist sie unruhiggeworden und zu den Nachbarn gelaufen, die haben einen Sohn, der in Nataschas Klasse ist. Als sie erfahren hat, daß die Disco
     schon um halb zwölf zu Ende war, ist sie sofort zur Polizei. Aber da wollte man nicht einmal ein Protokoll aufnehmen. Zwei
     Stunden, hieß es, das ist keine Zeit, wahrscheinlich ist Ihre Tochter noch mit einem Kavalier losgezogen. Und morgens haben
     sie dann die Arbeiter von der Baustelle gefunden.«
     
    »Was guckst du so finster?« fragte Olga, als Mitja mit einer Essenstüte vom Büfett zurückkam. »Der Kaffee ist

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