Die Lennox-Falle - Roman
Seite, dann werde ich seine linke Hand hineinschieben.«
Die Franzosen schoben die Leiche an der Wand entlang auf die rechte Seite der Vertiefung. Drew packte das linke Handgelenk und schob es so langsam und vorsichtig, als würde er eine komplizierte Bombe entschärfen, in die Wandvertiefung und drückte dann die Handfläche innen auf die Glasscheibe. Niemand wagte zu atmen, bis die große Stahltür sich lautlos öffnete. Der tote Nazi fiel zu Boden, und die vier Männer gingen hinein. Der Raum, den sie betraten, wirkte eher wie ein Alptraum als wie der Wohnraum eines Menschen.
Der riesige Raum hatte den Grundriß eines Oktagons mit einer Glaskuppel in der Decke, durch die das Mondlicht hereinströmte. Elyse hatte ihn als Pharaonengrab bezeichnet, eine bewohnte Grabstätte, und Lennox mußte zugeben, daß sie in gewisser Hinsicht recht hatte. Es herrschte eine gespenstische Stille. Von draußen kam kein Laut herein, und anstelle der Besitztümer eines Pharao, die ihn begleiten sollten, gab es eine ganze Wand voll medizinischer Gerätschaften, die verhindern sollten, daß er jene Reise antrat. In jede der acht Wände des Oktagons war eine
Tür eingelassen. Elyse hatte ihnen gesagt, daß General Monlucs Adjutanten ihre Quartiere innerhalb des Grabmals hatten. Fünf Türen mußten also den Männern in den dunklen Anzügen gehören, blieben drei, von denen eine vermutlich in ein Bad führte, während hinter den zwei restlichen Fragezeichen standen.
All das wurde den Betrachtern beim zweiten und dritten Blick bewußt. Aber, was jedem, der den Raum zum ersten Mal betrat, zunächst ins Auge fallen mußte, waren die ins Groteske vergrößerten Fotografien überall an den Wänden, alle von einer indirekten Beleuchtung in blutrotes Licht getaucht, die so etwas wie ein Archiv der Nazigreueltaten darstellten. Es war wie ein finsterer Korridor in einem Holocaustmuseum - die Scheußlichkeiten, die Hitlers fanatische Horden den Juden und anderen ›unerwünschten‹ Elementen zugefügt hatten, mit Fotografien von aufgestapelten, nackten Leichen. Daneben waren Bilder von blonden Männern und Frauen - mutmaßlich Verrätern - die man aufgehängt hatte und deren qualvoll verzerrte Gesichter daran erinnerten, daß jeder abweichende Gedanke verboten war. Nur ein besonders kranker Geist konnte nachts aufwachen und Freude an diesem obszönen Kaleidoskop haben. Doch noch mehr zog einen die mit einem Nachthemd bekleidete Gestalt auf dem Bett in den Bann. Sie war im Gegensatz zu dem dunkelroten Licht der Wände in weiches, weißes Licht getaucht. Ein sehr, sehr alter Mann ruhte dort auf Kissen, die ihn zwergenhaft erscheinen ließen, sein verschrumpeltes Gesicht war in der Seide eingesunken, als läge er in einem Sarg. Und was für ein Gesicht! Je näher man hinsah, desto hypnotischer wurde der Bann, der von ihm ausging.
Die eingesunkenen Wangen, die tiefliegenden Augen! Sie hätten ebenso einem Skelett gehören können. Der kurze Schnurrbart unter der Nase, jetzt schneeweiß, aber präzise gestutzt; das bleiche Gesicht, von dem man sich gut vorstellen konnte, wie es sich früher einmal auf der Rednerbühne in Wut hineingesteigert hatte - das alles war da! Selbst das berühmte Zucken im rechten Auge, das auf den Attentatsversuch in der Wolfsschanze zurückzuführen war. Alles da!
»Heilige Madonna!« flüsterte Witkowski. »Ist das die Möglichkeit?«
»Unmöglich ist es nicht, Stanley. Es würde eine Menge Fragen beantworten, die fünfzig Jahre lang gestellt worden sind. Ganz besonders die: Wer waren die beiden verkohlten Leichen in jenem Bunker wirklich? … Aber dafür ist jetzt keine Zeit, Stosh. Wir müssen dieses Pharaonengrab sichern, ehe es wirklich eines wird.«
»Rufen Sie die französische Sondereinheit.«
»Erst nachdem wir uns vergewissert haben, daß es hier keine Schaltungen für Selbstzerstörung gibt, denn wenn irgendwo etwas zu finden ist, dann in diesen Räumen … Wir werden die anderen vier Adjutanten unseres Pharaos herausholen.«
»Und wie wollen Sie das anstellen, chlopak? «
»Immer hübsch eines nach dem anderen, Colonel. Die Türen haben Knöpfe, und ich gehe mit Ihnen jede Wette ein, daß sie nicht von innen versperrt sind. Nicht im Vierten Reich, wo es in den oberen Rängen ganz bestimmt kein Privatleben gibt, ganz besonders, da ja Monluc - oder wer auch immer er sein mag - von ihnen umgeben ist.«
»Einleuchtend«, räumte Witkowski ein, »Sie fangen an, erwachsen zu werden, mein Junge, Sie werden
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