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Die Letzte Arche

Die Letzte Arche

Titel: Die Letzte Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
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die Sterne zum Vorschein, beherrscht vom Jupiter, dem König der Planeten.
    Lily stellte sich vor, wie es wohl wäre, jetzt vom Mond zur Erde zu schauen, den Busen des Erdmeeres im getönten Mondlicht schimmern zu sehen, unbegrenzt von Pol zu Pol bis auf die letzten paar Berggipfel-Inseln mit ihren Tupfern aus Flößen, Booten und Abfallinseln, und die Menschen zu erahnen, die ihr Gesicht hoben, um das Schauspiel am Himmel zu betrachten.
    Sie saß zusammen mit Nathan Lammockson auf dem aus der Arche Drei geborgenen Fetzen Plastikplane, der über den klebrigen Seetang-Algen-Boden ihres Floßes ausgebreitet war. Sie hatte versucht, es Nathan mit einem Haufen Decken bequem zu machen. In den letzten paar Jahren hatte ihn die Arthritis zu plagen begonnen, wofür er die Feuchtigkeit des Meeres verantwortlich machte.
    Nathan, der sanft hin und her schaukelte, redete auf sie ein; er spulte seinen üblichen Sermon ab, legte wie immer seine Vision der Zukunft dar.

    »Die Erde hat uns geboren und uns dann mit harter, liebevoller Hand geformt. Dieses neue Wasserzeitalter, das Hydrozän, ist nur eine weitere grobe Gussform, und wir werden es überstehen, klüger und stärker denn je. Wir sind die Kinder des Hydrozäns. Ja, das gefällt mir …« Er schaute sich um, als suchte er jemanden, der die Phrase für ihn notierte. »Verdammte Schimpansen, ich meine, Kinder, die schwimmen bloß …« Seine Augen schlossen sich, als schliefe er beim Reden ein, und er schaukelte steif hin und her, dreiundsiebzig Jahre alt.
    »Vielleicht sollten Sie zu Bett gehen, Nathan.«
    »Die schwimmen bloß …«
    Am Himmel flammte ein Licht auf. Lily blickte in dem Glauben nach oben, die Mondfinsternis wäre zu Ende und das helle Sonnenlicht fiele wieder ungehindert auf die Oberfläche des Mondes. Aber der Mond lag noch immer vollständig im Erdschatten und war so rund und braun wie zuvor.
    Es war der Jupiter – der Jupiter leuchtete auf. Er war immer noch ein Lichtpunkt, aber viel heller, so hell, dass er scharfrandige Schatten auf den glänzenden Tang des Floßsubstrats warf. Das Licht wurde jedoch kleiner, als wiche es in die Ferne zurück. Und bald leuchtete der Jupiter wieder allein, so wie zuvor.
    Das war die Arche, dachte sie sofort. Das war Grace. Was konnte es sonst sein?
    Dann erschien am äußersten Rand des Mondes ein weißer Streifen, Mondberge, die ins Sonnenlicht explodierten. Lily war rasch geblendet und konnte den Jupiter nicht mehr sehen. Sie würde es nie erfahren.
    »Ich habe euch hierhergebracht, nicht wahr? Ich habe euch am Leben erhalten.«
    »Ja, Nathan.« Sie legte ihm eine Decke um die Schultern, während er hin und her schaukelte und etwas von Evolution,
Schicksal und Kindern nuschelte, ein alter Mann, der über seinen arthritischen Schmerz gebeugt war. »Ja, das haben Sie.«
    Aber wenn es die Arche gewesen war, dachte sie, dann hatte die Crew den Zeitpunkt dieses seltsamen Aufbruchs vielleicht bewusst gewählt , in dem Wissen, dass die Mondfinsternis, dieses Schauspiel am Himmel, auf der dunklen Seite der Erde die Blicke auf sich ziehen würde. Es wäre ein tolles Kunststück, eine grandiose Art, Auf Wiedersehen zu sagen.
    »Ich habe euch am Leben erhalten. Wir müssen uns anpassen. Die Schimpansen, ich meine, die Kinder, sie müssen lernen …«

Vierter Teil
2044 – 2052

57
    SEPTEMBER 2044
     
    Eine Stunde vor Kellys Parlamentssitzung versuchte Holle aus einer Laune heraus, in die Kuppel zu gelangen. Sie wollte mit Venus über das Treffen mit Zane sprechen, auf das sie sich innerlich vorbereitete.
    Aber Thomas Windrup, der in der Luftschleuse saß und auf einem Laptop eine Datenreduktionsübung durchführte, fungierte als Torwächter. Schlank, dunkel und mit gebrochener Nase – ein Geschenk von Jack Shaughnessy, das ihm seinen Stubengelehrten-Look ruiniert hatte – schaute er in einem Einlassplan nach.
    »Ach, Herrgott nochmal, lass mich einfach rein«, bat Holle. »Ich brauche nur ein paar Minuten.«
    »Wir haben hier drin viel zu tun«, sagte Thomas mit dem prononcierten Omaha-Akzent, den er während ihrer Jahre auf der Akademie beibehalten hatte. »Und dann ist da die Dunkeladaptation. «
    »Was glaubst du denn, was ich tun werde, euch mit einer Taschenlampe blenden? Lass mich rein, oder ich schalte die Wasserzufuhr zu eurer Kaffeemaschine ab.«
    Daraufhin drehte Venus sich um. Ihre Augen leuchteten in der klösterlichen Dunkelheit der Kuppel. Über ihrer Schulter sah Holle Elle Strekalow, und hinter den beiden

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