Die Letzte Arche
einen sternenübersäten Himmel. »Das ist wirklich nicht komisch«, sagte Venus. »So was ist in diesem Dreckloch eine reale Macht, Holle.
Selbst wenn Kelly Kenzie glauben möchte, dass wir alle eine große, glückliche Familie sind. Ach, nun lass sie schon rein, Thomas.«
Thomas trat mit einem widerwilligen Grinsen beiseite.
Holle betrat die Kuppel und nahm auf einem leichten Drehstuhl neben Venus Platz. Nachdem die Module nun in Rotation versetzt worden waren, betrug die Schwerkraft hier oben in der Nähe der Nase von Seba etwas weniger als die halbe Erdschwerkraft. Jeder Stuhl, auf den man sich setzte, fühlte sich federweich an, und diese transparente Blase an der Flanke von Seba war zu einer Kuppel geworden, die seitlich an einer senkrechten Wand hing und von Gitterböden in horizontale Ebenen unterteilt wurde. Venus und ihr Team arbeiteten an Stationen, die zum Schutz ihrer an die Dunkelheit angepassten Augen mit matt beleuchteten Bildschirmen und roten Lampen ausgestattet waren. Die geweiteten Pupillen verliehen Venus ein unheimliches, drogenberauschtes Aussehen.
Holle schaute durch das gekrümmte Fenster in die tiefere Dunkelheit hinaus, auf die gestochen scharfen, hellen Sternenfelder. Das Licht erlitt auf seinem Weg durch die Wand der Warp-Blase nur eine geringfügige Verzerrung, zumindest wenn man den Blick von der Bewegungsachse der Blase abwandte, und die Sterne sahen weitgehend genauso aus wie schon seit Ewigkeiten am Himmel über Colorado. Doch als ihre Augen sich anpassten, war es, als kämen immer mehr Sterne aus der samtenen Schwärze hervor, als träten sie Schicht um Schicht unter den verstreuten, weit gespannten Sternbildern zutage, die ihr von der Erde vertraut waren. Dieses grandiose Panorama drehte sich, sämtliche Sterne im Universum kreisten alle dreißig Sekunden einmal um die Arche.
Venus bot ihr keinen Kaffee an. Sie geizte immer mit Kaffee. Vielleicht war es auch eine Strafe für den Spruch über die Wasserversorgung.
»Na«, sagte Venus schließlich, »was gibt’s Neues an der Sanitärfront? «
»Alles plangemäß und im Rahmen des Etats.«
»Und wie läuft’s mit deinen illegalen Brüdern?«
»Die Shaughnessys machen sich gut. Jedenfalls bei den simpleren Sachen – dem großen Zeug, das man sehen und an dem man rumfummeln kann, wie das Sauerstofferzeugungssystem und die Wasserrückgewinnungsracks. Aber es fällt ihnen schwer, die Systemströme insgesamt zu erfassen oder auch nur zu begreifen, wozu sie das können sollten.«
Venus tat es geringschätzig ab. »Sind halt nun mal bloß einfache Soldaten.«
»Sie sind mehr als das. Sollten wir jedenfalls hoffen.«
Venus nickte und betrachtete Holle mit diesen seltsamen, großen Augen. »Ich will dir was sagen. Es gibt niemandem, dem ich es mehr zutrauen würde als dir, solche lebenswichtigen Subsysteme zu betreuen, Holle. Das könnte von Bedeutung sein, wenn wir später mal größere Probleme kriegen.«
Holle mochte dieses apokalyptische Gerede nicht, das Venus, Wilson und ein paar andere gelegentlich anstimmten. »Dann sollten wir dafür sorgen, dass es gar nicht erst so weit kommt.«
»Ja. Na, Lust auf ein bisschen Sternebeobachten? Kannst du mir sagen, in welche Richtung wir fliegen?«
Das war keine leichte Frage. Holle drehte sich auf ihrem Sitz um. Sie schaute durchs Fenster hinaus und an der Flanke des Moduls entlang nach oben, eine vertikale, gekrümmte Wand, die mit Isoliermaterial verkleidet und von Handhelds, Instrumentensockeln und Mikrometeoritennarben übersät war. Sie
sah den großen Teilchenbeschleunigerring des Warp-Generators, der über ihr schwebte, und dahinter erblickte sie Hawila, einen Zylinder, der mit der Nase nach unten im Himmel hing, das Seil ein glänzendes Band zwischen den beiden Modulen. All dies wurde vom Sternenlicht und den Lichtern des Schiffes hervorgehoben. Die Module drehten sich um den Mittelpunkt des Seils; ihre Ausrichtung in jedem gegebenen Moment hatte nichts mit der allgemeinen Bewegungsrichtung der Arche zu tun. Holle wusste jedoch, wie sie sich orientieren konnte. »Halt Ausschau nach dem Orion …« Sie suchte den Himmel ab, und es dauerte nicht lange, bis sie die stolze Gestalt des Jägers mit seinem charakteristischen Sternengürtel fand. »Und Eridanus ist dieser ausgedehnte Fleck rechts davon.« Ihr Zielstern der G-Klasse lag im Sternbild des Flusses, immer noch mehr als neunzehn Lichtjahre entfernt.
»Nicht schlecht«, sagte Venus. »Mir scheint, unsere Ausbildung in
Weitere Kostenlose Bücher