Die Letzte Arche
runter. Hundert Meter Höhe. Achtzig. Sechzig. Hoppla …« Er zog an der Translationssteuerung, und das Shuttle schwenkte scharf nach rechts. Helen sah ein Feld von Eisbrocken genau in ihrer vorherigen Anflugbahn. Als Wilson das Shuttle auf eine freiere Fläche ausgerichtet hatte, gab er die Steuerung frei und überließ es der Automatik, den Vogel wieder ins Gleichgewicht zu bringen. »Das war knapp.«
Helen zeigte nach vorn. »Wir sind nicht mehr weit vom Ufer entfernt.« Dahinter erhob sich weiteres hügeliges Gelände, uneben, mit Geröll übersät und von diesen seltsamen schwarzen Farbflecken gesprenkelt.
Wilson grinste. »Kann schon sein, aber wir haben nur einen Versuch, Baby. Hoffen wir, dass der Platz reicht.« Ein Monitor piepste; der Radar-Höhenmesser zeigte, dass sie nur noch zehn Meter hoch waren. »Jetzt geht’s los …« Er schob den Knüppel behutsam nach vorn. Der See kam zu ihnen herauf.
Die Kufen trafen aufs Eis. Das Shuttle klapperte und stieg wieder in die Luft, und Helen klammerte sich an ihre Liege. Das Shuttle sank erneut hinunter, hüpfte noch einmal, und dann hörte sie das Quietschen von Metall, als die Kufen über die Eisdecke schabten. Es gab einen weiteren Knall, und Helen wurde nach vorn in die Gurte geworfen, als ob eine riesige Hand das Heck des Raumfahrzeugs gepackt hätte.
»Bremsschirme geöffnet!«, rief Wilson. »Wow, was für ein Ritt.«
Dank der Bremsschirme, in denen sich die dicke Luft fing, wurde die Raumfähre rasch langsamer. Auf den letzten paar Metern holperten die Kufen über jeden Stein und Eisblock in ihrem Weg, und die Insassen wurden gründlich durchgeschüttelt. Dann drehte sich das Shuttle um ein paar Grad und schlitterte noch ein paar Dutzend Meter seitwärts, bis es schließlich zum Stehen kam.
Wilson schlug auf eine Taste. »Bremsschirme abgeworfen. Als Erstes müssen wir gleich die Seide einsammeln, die brauchen wir später noch …« Ein wenig benommen tippte er an sein Mikrofon. »Hawila, Shuttle B. Wir sind unten, in einem Stück. Yeah! Wir sind unten«, wiederholte er leiser und schaute zu Helen hinüber. »Und was nun?«
98
Die Ausstiegsrampe der Raumfähre war simpel, ein herunterklappbares Rumpfsegment, das zwecks besserem Halt am Boden von einem geriffelten Band umsäumt wurde.
Helen, Jeb und Wilson standen an der geschlossenen Tür. Sie trugen dick gefütterte, leuchtend grüne Mäntel, dazu Handschuhe, Mützen und mit Filterflaschen verbundene Schutzmasken. Ein paar der älteren Kinder waren bei ihnen, alle mit Mänteln und Masken ausgestattet. Die anderen warteten in der Hauptkabine. Jeb keuchte und bewegte sich unbeholfen; er trug die kleine Sapphire Murphy Baker in den Armen. Das Gesicht der Kleinen verschwand fast vollständig hinter ihrer Maske. Sie hielten sich alle an Handläufen fest, die ihr ungewohntes Gewicht trugen. Jeb und Wilson waren zumindest in Erdschwerkraft aufgewachsen; Helen hatte lediglich die geringfügige Schwerkraft des Moduls gekannt, aber auch die gab es seit der dreißig Jahre zurückliegenden Aufteilung nicht mehr, und das eineinviertel Ge fühlte sich schrecklich schwer an. Aber sie stand entschlossen da.
»Also«, sagte Wilson, die Stimme von seiner Maske gedämpft. »Alle startklar?«
»Mach schon«, sagte Helen leise.
Wilson zog an einem Hebel. Mit hydraulischem Zischen öffnete sich die Luke anmutig bis zum Boden. Kalte, scharfe Luft wehte ins Shuttle, und ein blassrosa Licht überstrahlte den Schein der künstlichen Lampen.
Wilson schaute sich um. »Noch niemand tot? Bereit für die EVA?«
Helen schnaubte. »Eine EVA, die niemals enden wird, Wilson.«
»Da hast du wohl Recht.« Er trat als Erster zur Luke hinaus.
Sie alle gingen vorsichtig die Rampe hinunter – vorsichtig, weil dies ihre erste Begegnung mit der neuen Welt war, und weil Helen nicht sicher war, dass sie sich auch nur daran erinnern konnte, wie man ging . Jeb trug die kleine Sapphire, die sich mit großen Augen umschaute.
Sie blickten geradewegs in die Sonne, die riesig in einem rosa-braunen Himmel hing. Sie war vielleicht vierzig Mal so groß wie die Sonnenscheibe, von der Erde aus gesehen, aber man konnte direkt in ihren fahlen Schein hineinschauen, ohne die Augen zusammenzukneifen. Die sich aufwölbenden Hügel am Rand des Sees waren von schwarzen Streifen überzogen, und eine dicke Eisschicht bedeckte ihre im Schatten liegenden Hänge. Gebilde, die kräftigen Bäumen glichen, gedrungen und dunkel, reckten sich von den
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