Die letzte Eskorte: Roman
Sie sich nicht im falschen Augenblick von Gedanken an meine atemberaubende Schönheit ablenken«, scherzte sie.
»Ich werde über Ihre atemberaubende Schönheit nur in der Einsamkeit meiner Kabine nachsinnen«, versprach er mit einem Augenzwinkern.
»Vielleicht nur einmal am Tag – wenn Sie einschlafen und zu träumen beginnen.« Plötzlich schloss sie die Augen und hielt sich eine Hand vors Gesicht. »Genug davon! Wenn Sie gehen, wird mir elend zumute sein. Jeden Herzschlag werde ich mir Sorgen um Sie machen, bis Sie wieder unversehrt vor mir stehen.« Sie umschloss seine Hand so fest mit beiden Händen, dass sich ihre Nägel in seine Haut bohrten. »Kommen Sie heil und gesund wieder, das müssen Sie mir versprechen.«
»Es ist schwer, ein solches Versprechen zu halten ...«
»Das ist mir gleich. Sie müssen es halten. Versprechen Sie es mir«, verlangte sie.
Er nickte stumm.
Sie schmiegte sich an ihn, ihr Atem war warm und voller Süße. Im Nebenraum waren Schritte zu hören. Die Person schien einen Moment lang zu zögern, ging dann aber weiter. Die beiden ließen rasch voneinander ab, und Henrietta versuchte vergebens, die Spuren ihrer Tränen zu vertuschen.
Lady Hertle betrat den Salon und wirkte erschöpft und vom Alter gebeugt. Hayden glaubte, dass die alte Dame nach der letzten Krankheit um Jahre gealtert sei, zumindest vorübergehend.
»Ach, hier seid ihr«, sprach sie mit einem Lächeln auf den Lippen und schien sich über die unleugbare aufblühende Zuneigung der jungen Leute zu freuen. Doch schnell verdrängte eine sorgenvolle Miene das Lächeln. »Meine liebe Henrietta, hast du dich noch nicht wieder ganz erholt? Deine Augen sind gerötet, und du siehst ein wenig erhitzt aus. Du hast doch kein Fieber, oder?«
»Keineswegs, Tante. Ich habe bloß noch diesen schrecklichen Husten – doch der plagt mich eigentlich nur des Nachts. Ansonsten bin ich gesund.«
Lady Hertle schien davon nicht recht überzeugt zu sein und schaute ihre Nichte einen Moment prüfend an, ehe sie sich Hayden zuwandte.
»Kapitän Hayden«, sagte sie. »Ist mir ein Vergnügen.«
»Ich hoffe, Sie erleben dieses Vergnügen nicht zu oft, Lady Hertle, da ich nicht die Absicht habe, Ihre Gastfreundschaft über Gebühr in Anspruch zu nehmen.«
»Oh, Sie könnten mir jeden Tag einen Besuch abstatten, ich würde Ihrer nicht überdrüssig. Es wäre mir ein Graus, jeden Tag nur mit mir beschäftigt zu sein. Nach wenigen Monaten wäre ich völlig verwirrt. Nein, kommen Sie mich besuchen, so oft Sie wollen. Robert sagt, Sie seien wie ein Bruder für ihn, und daher sind Sie wie ein Neffe für mich. Wo sind Robert und Elizabeth überhaupt? Ich muss sagen, die beiden sind doch wirklich schlechte Anstandsdamen«, mokierte sie sich im Spaß und gab den beiden zu verstehen, ihr in den Speiseraum zu folgen. »Seeleute nehmen sich gern Freiheiten heraus«, klärte Lady Hertle ihre Nichte auf. »Als Admiral Hertle jung war, küsste er mich bei jeder Gelegenheit. Gewiss, da waren wir schon verlobt und wollten heiraten, aber er war dennoch recht undiszipliniert, wenn es ums Küssen ging.« Bei der Erinnerung umspielte ein Lächeln ihre Mundwinkel, doch es wirkte ein wenig traurig.
»Ich bin ziemlich empört«, sagte Henrietta, »dass du dich von einem jungen Mann hast küssen lassen, auch wenn du mit ihm verlobt warst.«
Lady Hertle gab einen missbilligenden Laut von sich. »Ach, ich mag Küsse und trauere ihnen mehr nach, als du dir vorstellen kannst.«
»Aber ich gebe dir doch jeden Tag einen Kuss, Tantchen«, antwortete Henrietta.
»Ja, das tust du, aber das ist nicht dasselbe. Ah, Elizabeth«, sagte sie, als sie ihre andere Nichte und Robert am Fenster des Speiseraums stehen sah. Offenbar waren die beiden gerade bei einer Zärtlichkeit unterbrochen worden, die eben zur Sprache gekommen war. »Du hast deine Pflichten als Anstandsdame vernachlässigt.«
»Keineswegs, Tante. Im Gegenteil, ich komme der Pflicht vortrefflich nach. Ich gewähre Mr Hayden und Henrietta etwas Zeit für sich, damit ihre gegenseitige Zuneigung wachsen kann – mehr nicht. Ich würde sogar sagen, dass ich die perfekte Anstandsdame bin.«
»Bei all diesem Tändeln unter meinem Dach vermisse ich den Admiral sehr und fühle mich furchtbar allein, wie ich zugeben muss. Furchtbar allein.« An ihrem Platz blieb sie stehen. »Wisst ihr, wie wir das nannten, als wir noch jung waren? Das Küssen, meine ich. Oskulation . Wir glaubten, niemand könne verstehen, wovon wir
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