Die letzte Eskorte: Roman
wirkte.
»Sie waren während der Exekutionen an Bord, Mr Barthe? Das ist doch Ihre Handschrift, nicht wahr?«
Barthe warf einen Blick auf die ordentliche Schrift und schloss kurz die Augen. Sein rundliches Gesicht wirkte mit einem Mal schlaff. »Ja, Sir. Der neue Kapitän war zu krank, um dabei sein zu können. Mr Franks und – und ich machten die Schlingen. Saint-Denis überwachte die Hinrichtungen, und zwar ziemlich kaltblütig, wenn ich das so sagen darf. Das brachte ihm das Misstrauen der Crew ein. Zum Glück hatten wir neue Leute an Bord, die die Stricke hochzogen und die Verurteilten nicht kannten. Zumindest ein schwacher Trost.«
»Es tut mir leid, dass Sie dabei sein mussten, Mr Barthe. Das war gewiss eine hässliche Sache.«
»Ach, bei einigen tat es mir nicht leid, sie baumeln zu sehen, Sir. Sie misshandelten uns furchtbar nach der Übernahme des Schiffes und brachten sogar einige Crewmitglieder um, aber andere hatten weniger Schuld auf sich geladen, wenn man das überhaupt bei einer Meuterei sagen kann. Wahrscheinlich werde ich mein Lebtag vor Augen haben, wie sie hochgezogen wurden.«
»Das ist der Preis, wenn man ein Gewissen und Pflichtbewusstsein hat.«
Einen Moment lang standen sich die beiden Seeleute etwas ratlos gegenüber, bis Barthe, der offenbar wenig Trost aus Haydens Worten gezogen hatte, eine kurze Verbeugung andeutete. »Aber Sie haben zu tun, Kapitän. Besser, ich gehe jetzt.« Er verließ die Kabine, mit einem Mal seltsam steif in seinen Bewegungen.
Hayden reichte einem Seesoldaten, der ihm fortan dienen sollte, den Uniformrock, ließ sich dann auf einen der Stühle sinken und griff nach dem ersten Blatt Papier auf dem Stapel – der Musterrolle. Etliche Namen kannte er: Chettle zum Beispiel war der Schiffszimmermann, Childers war Harts Bootsführer gewesen und würde von nun an Hayden in derselben Weise dienen. Doch es gab ebenso viele Namen, die ihm unbekannt waren.
Daraufhin ging er das Ladungsverzeichnis, die Liste der Kranken und Verletzten, die Wacheinteilung und das Hafenlogbuch durch. In der Flut aus Papieren und Dokumenten drohte er unterzugehen, hielt aber hartnäckig durch, bis der Stapel abgearbeitet und jedes einzelne Blatt über die Schreibtischplatte zu einem zweiten Stapel gewandert war.
Erleichtert lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück, führte die Kaffeetasse an den Mund und trank den inzwischen kalten Inhalt. Als sich sein Magen bemerkbar machte, vergewisserte sich Hayden mit einem Blick auf seine Uhr, dass es wirklich Zeit zum Abendessen war. Dann schaute er sich in Harts Kabine um, in der er sich vorübergehend einrichten würde, und das nicht zum ersten Mal. Doch der Rang eines Vollkapitäns und die Aussicht auf ein eigenes Schiff waren plötzlich wieder in weite Ferne gerückt. Verflucht sei Cotton, dass er mir die Kent weggenommen hat, dachte er. Hayden war der festen Überzeugung, dass er sich die neue Position redlich verdient hatte. Doch jetzt war er wieder nur stellvertretender Kapitän.
Es klopfte an die Tür.
»Herein!«, rief er und machte sich klar, dass er seinen Zorn und seine Enttäuschung nicht an Unschuldigen auslassen durfte.
Der Wachposten steckte den Kopf durch die Tür. »Leutnant Saint-Denis, Sir.«
»Schicken Sie ihn herein«, sagte er und erhob sich.
Da rauschte Saint-Denis auch schon in die Kajüte, den Hut unter den Arm geklemmt. Er lächelte, wenn auch etwas gezwungen, und gab sich betont locker. Er hatte eine fliehende Stirn und stumpfes blondes Haar, das sich allmählich lichtete. Die feine, maßgeschneiderte Uniform vermochte nicht die schmale Brust, die spitzen Schultern und die breiten Hüften zu verbergen. Obwohl der Leutnant nur etwas älter als Hayden war, schien er die Jugend längst hinter sich gelassen zu haben und näherte sich dem gesetzten Alter mit Riesenschritten.
»Mr Hayden, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr es mich freut, Ihre Bekanntschaft zu machen.« Mit einer Hand deutete er vage auf den leeren Stuhl. »Darf ich?« Schon nahm er Platz, obwohl Hayden noch gar nichts gesagt hatte. »Ich bitte um Entschuldigung, aber ich fürchte, ich werde nicht lange an Bord bleiben können, da Kapitän Davies zweifellos nach mir schicken wird. Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Admiralität ihn mit einem Linienschiff betrauen wird, vielleicht sogar mit einem Flaggschiff. Und er hat mir versprochen, mich mitzunehmen. In Wahrheit glaubt er, nicht ohne mich auszukommen. Doch ich bin sicher, dass Sie einen
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