Die letzte Generation
Konferenzzimmer. Der Virus mußte in seinen Blutstrom eingedrungen sein; oder aber er näherte sich seiner zweiten Kindheit nur schneller, als er vermutet hatte.
Reine Neugier war ebenfalls ein mächtiger Antrieb und ebenso die Entschlossenheit, den Streich, den man ihm gespielt hatte, zurückzuzahlen. Ihm war jetzt völlig klar, daß Karellen ihn als Köder benutzt hatte, und wenn dies auch aus den besten Gründen geschehen war, fühlte sich Stormgren doch nicht geneigt, dem Oberkontrolleur sogleich zu verzeihen.
Pierre Duval zeigte keine Überraschung, als Stormgren unangemeldet sein Büro betrat. Sie waren alte Freunde, und es war nichts Ungewöhnliches, daß der Generalsekretär dem Leiter der Wissenschaftlichen Abteilung einen persönlichen Besuch machte. Sicherlich würde auch Karellen es nicht sonderbar finden, wenn er oder einer seiner Untergebenen zufällig ihre Beobachtungsinstrumente auf diesen Ort richten sollten.
Eine Weile sprachen die beiden Männer über geschäftliche Angelegenheiten und tauschten politische Ansichten aus. Dann kam Stormgren etwas zögernd zur Sache. Während sein Besucher redete, lehnte sich der alte Franzose in seinem Stuhl zurück, und seine Brauen zogen sich, Millimeter für Millimeter, immer mehr in die Höhe, bis sie fast unter seiner Stirntolle verschwanden. Ein- oder zweimal schien er etwas sagen zu wollen, aber immer überlegte er es sich anders.
Als Stormgren geendet hatte, sah sich der Gelehrte nervös im Zimmer um. „Glauben Sie, daß er zuhört?“ fragte er.
„Ich glaube nicht, daß er es kann. Er läßt mich zu meinem Schutz beschatten, wie er es nennt, aber das ist unterirdisch nicht möglich. Das ist der eine Grund, warum ich hier in Ihr Verlies gekommen bin. Es soll gegen alle Arten von Strahlungen geschützt sein, nicht wahr? Karellen ist kein Zauberer. Er weiß, wo ich bin, aber das ist alles.“
„Hoffentlich haben Sie recht. Wird es aber, abgesehen davon, nicht Schwierigkeiten geben, wenn er entdeckt, was Sie vorhaben? Denn das wird er, wie Sie wissen.“
„Ich nehme diese Gefahr auf mich. Außerdem verstehen wir uns recht gut.“
Der Physiker spielte mit seinem Bleistift und starrte eine Weile vor sich hin. „Es ist ein sehr reizvolles Problem. Es gefällt mir“, sagte er ruhig. Dann tauchte er in ein Schubfach und zog einen ungeheuren Schreibblock heraus, den größten, den Stormgren je gesehen hatte. „Also gut“, begann er und beschrieb das Blatt mit so etwas wie einer privaten Kurzschrift. „Ich möchte sicher sein, daß ich alle Punkte habe. Erzählen Sie mir soviel Sie können über den Raum, in dem Sie Ihre Besprechungen haben. Lassen Sie keine Einzelheit aus, so belanglos sie erscheinen mag.“
„Da ist nicht viel zu beschreiben. Der Raum besteht aus Metall und ist etwa acht Quadratmeter groß und vier Meter hoch. Der Bildschirm ist etwa einen Meter breit, und unmittelbar darunter befindet sich ein Schreibtisch. Hier, es wird schneller gehen, wenn ich es Ihnen aufzeichne.“
Rasch skizzierte Stormgren den kleinen Raum, den er so gut kannte, und schob Duval die Zeichnung zu. Während er das tat, erinnerte er sich mit einem leisen Schauder an das letzte Mal, als er das gleiche getan hatte. Er fragte sich, was wohl mit dem blinden Waliser und seinen Gefährten geschehen sei und wie sie auf seinen plötzlichen Aufbruch reagiert hatten.
Der Franzose studierte die Zeichnung mit gerunzelten Brauen. „Und das ist alles, was Sie mir sagen können?“
„Ja.“
Duval schnaufte verächtlich. „Wie ist es mit der Beleuchtung? Sitzen Sie in völliger Dunkelheit? Und wie ist es mit der Belüftung und Heizung?“
Stormgren lächelte über diese bezeichnenden Fragen. „Die ganze Decke leuchtet, und soviel ich sagen kann, kommt die Luft durch das Sprechgitter herein. Ich weiß nicht, wie sie wieder hinauskommt, vielleicht läuft der Strom zeitweilig in umgekehrter Richtung, aber das habe ich nicht bemerkt. Einen Heizkörper sieht man nicht, aber in dem Raum ist immer eine normale Temperatur. Ich glaube, jetzt habe ich Ihnen alles gesagt“, schloß er. „Und was das Flugzeug betrifft, das mich zu Karellens Schiff hinaufbringt, so ist der Raum, in dem ich sitze, so ausdruckslos wie eine Fahrstuhlkabine. Abgesehen von dem Stuhl und dem Tisch könnte es gut eine solche Kabine sein.“
Mehrere Minuten herrschte Schweigen, wobei der Physiker seinen Schreibblock mit sorgfältigen mikroskopischen Schnörkeleien verzierte. Während Stormgren ihn
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