Die letzte Generation
Stormgren einen letzten Blick auf den Grubeneingang und die erstarrten Männer. Dann schloß sich die Tür hinter ihm, und mit einem Seufzer der Erleichterung sank er auf den vertrauten Sessel.
Eine Weile wartete er, bis er wieder zu Atem gekommen war; dann stieß er eine einzige, von Herzen kommende Silbe aus: „Nun?“
„Es tut mir leid, daß ich Sie nicht früher befreien konnte. Aber Sie sehen, wie wichtig es war, zu warten, bis alle Führer sich dort versammelt hatten.“
„Wollen Sie damit sagen“, sprudelte Stormgren heraus, „daß Sie die ganze Zeit gewußt haben, wo ich war? Wenn ich dächte …“
„Seien Sie nicht zu hastig“, erwiderte Karellen, „wenigstens lassen Sie mich erst alles erklären.“
„Gut“, sagte Stormgren düster, „ich höre.“ Er begann zu argwöhnen, daß er nur ein Köder in einer klug aufgestellten Falle gewesen war.
„Ich hatte Ihnen einige Zeit einen ‚Spürer’ nachgeschickt“, begann Karellen. „Obwohl Ihre neuen Freunde mit Recht annahmen, daß ich Ihnen nicht unter die Erde folgen könne, vermochte ich doch auf Ihrer Spur zu bleiben, bis man Sie in die Mine brachte. Dieser Transport durch den Tunnel war genial, aber als der erste Wagen auf die Signale nicht mehr ansprach, verriet er den Plan, und es gelang mir seht bald, Sie wiederzufinden. Dann hieß es nur abwarten. Ich wußte, daß die Führer herkommen würden, sobald sie überzeugt waren, daß ich Sie aus den Augen verloren hätte, und daß ich sie dann alle abfangen konnte.“
„Aber Sie wollen sie gehen lassen?“
„Bisher“, erwiderte Karellen, „konnte ich nicht sagen, wer unter den zweieinhalb Milliarden Menschen auf diesem Planeten die wirklichen Führer der Organisation wären. Jetzt, da sie festgestellt sind, kann ich ihre Bewegungen überall auf der Erde verfolgen und kann, wenn ich will, alle ihre Handlungen beobachten. Das ist weit besser, als sie einzusperren. Wenn sie irgendwelche Schritte unternehmen, werden sie ihre übrigen Gefährten verraten. Sie sind wirksam neutralisiert, und das wissen sie; Ihre Rettung muß ihnen völlig unerklärlich sein, denn Sie sind vor ihren Augen verschwunden.“
Sein volltönendes Lachen hallte in dem kleinen Raum wider.
„In gewisser Weise war die ganze Sache eine Komödie, aber sie hatte einen ernsten Zweck. Es geht mir nicht nur um die paar hundert Männer in dieser Organisation – ich muß auch an die moralische Wirkung auf andere Gruppen denken.“
Stormgren blieb eine Weile stumm. Er war nicht ganz befriedigt, aber er konnte Karellens Standpunkt verstehen, und etwas von seinem Zorn hatte sich verflüchtigt. „Es ist bedauerlich, daß es in meinen letzten Amtswochen geschehen mußte“, sagte er endlich. „Aber von jetzt an werde ich eine Wache vor meinem Hause aufstellen. Das nächste Mal kann Pieter entführt werden. Wie hat er sich übrigens verhalten?“
„Ich habe ihn in dieser letzten Woche sorgfältig beobachtet und vermied es absichtlich, ihm zu helfen. Im großen und ganzen hat er seine Sache sehr gut gemacht, aber er ist nicht der Mann, der an Ihre Stelle treten kann.“
„Das ist ein Glück für ihn“, sagte Stormgren, noch immer etwas gekränkt. „Haben Sie übrigens von Ihren Vorgesetzten irgend etwas darüber gehört, daß Sie sich uns zeigen sollen? Ich bin jetzt überzeugt, daß dies der stärkste Einwand ist, den Ihre Feinde gegen Sie haben. Wieder und immer wieder haben sie mir gesagt: ‚Wir werden den Overlords nie trauen, solange wir sie nicht sehen können.’“
Karellen seufzte: „Nein, ich habe nichts gehört. Aber ich weiß, wie die Antwort sein muß.“
Stormgren drang nicht weiter in ihn. Früher einmal hätte er es vielleicht getan, aber jetzt zum erstenmal begann der schwache Schatten eines Plans in seinem Geist Gestalt anzunehmen. Die Worte des Mannes, der ihn ausgefragt hatte, gingen wieder durch sein Gedächtnis. Ja, vielleicht könnte man Apparate bauen …
Was er unter Zwang zu tun abgelehnt hatte, konnte er aus eigenem freiem Willen versuchen.
3
Noch vor wenigen Tagen hätte sich Stormgren nicht vorstellen können, daß er im Ernst die Unternehmung erwägen würde, die er jetzt plante. Diese lächerliche operettenhafte Entführung, die in der Erinnerung wie ein drittrangiges Fernsehspiel wirkte, hatte wahrscheinlich mit seiner neuen Einstellung viel zu tun. Zum erstenmal in seinem Leben war Stormgren einer Gewaltmaßnahme ausgesetzt gewesen, im Gegensatz zu den Wortkämpfen im
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