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Die letzte Generation

Die letzte Generation

Titel: Die letzte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke
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war sich noch nicht ganz klar, ob ihr die Kolonie gefiel. Das war jedoch kaum überraschend, denn sie hatte bisher nichts von der Welt gesehen außer den Kunststoffwänden ihres Bettchens und hatte noch kaum eine Ahnung, daß es einen Ort wie die Kolonie gab.
    George Greggson dachte nicht oft an die Vergangenheit; er war zu sehr mit Plänen für die Zukunft beschäftigt, zu sehr durch seine Arbeit und seine Kinder in Anspruch genommen. Es kam selten vor, daß seine Gedanken durch die Jahre zu jenem Abend in Afrika zurückwanderten, und er sprach nie mit Jean darüber. In gegenseitigem Einvernehmen wurde dieses Thema vermieden, und seit jenem Tage hatten sie trotz wiederholter Einladungen nie wieder die Familie Boyce besucht. Sie riefen Rupert mit immer neuen Entschuldigungen mehrmals in jedem Jahr an, und in letzter Zeit hatte er sie in Ruhe gelassen. Seine Ehe mit Maja schien zur Überraschung aller noch immer gut zu gehen.
    Eine Folge jenes Abends war, daß Jean jedes Verlangen verloren hatte, sich mit den Rätseln an den Grenzen der bekannten Wissenschaft zu befassen. Das einfältige und unkritische Staunen, das sie zu Rupert und seinen Experimenten hingezogen hatte, war völlig verschwunden. Vielleicht war sie überzeugt worden und bedurfte keiner weiteren Beweise mehr. George zog es vor, sie nicht zu fragen. Vielleicht hatten auch ihre Mutterpflichten solche Interessen aus ihrem Geist verbannt.
    George wußte, daß es keinen Zweck hatte, sich über ein Rätsel Gedanken zu machen, das nie gelöst werden konnte, und doch erwachte er bisweilen in der Stille der Nacht und grübelte. Er entsann sich seines Zusammentreffens mit Jan Rodricks auf dem Dach von Ruperts Haus und der wenigen Worte, die er mit dem einzigen menschlichen Wesen gesprochen hatte, das erfolgreich dem Verbot der Overlords getrotzt hatte. Nichts im Reich des Übernatürlichen, dachte George, könnte unheimlicher sein als die einfache wissenschaftliche Tatsache, daß, obwohl fast zehn Jahre seit seinem Gespräch mit Jan verstrichen waren, jener weit entfernte Reisende jetzt erst um wenige Tage älter geworden war.
    Das Universum war ungeheuer groß, aber diese Tatsache erschreckte ihn weniger als dessen Geheimnisse. George war kein Mensch, der lange über solche Dinge nachdachte, doch bisweilen kam es ihm vor, als wären die Menschen wie Kinder, die sich auf einem abgeschlossenen Spielplatz belustigten, beschützt vor den harten Wirklichkeiten der Außenwelt. Jan Rodricks hatte sich gegen diesen Schutz empört und war ihm entflohen, niemand wußte wohin. Aber in dieser Sache stand George völlig auf Seiten der Overlords. Er hatte nicht den Wunsch, das zu sehen, was in der unbekannten Finsternis lauerte, jenseits des kleinen Lichtkreises, den die Lampe der Wissenschaft warf.
     
    „Wie kommt es“, beklagte sich George, „daß Jeff immer irgendwo anders ist, wenn ich zufällig zu Hause bin? Wo ist er heute hin?“
    Jean sah von ihrer Strickerei auf, einer vorweltlichen Beschäftigung, die neuerdings mit viel Erfolg wieder aufgenommen war. Solche Moden kamen und gingen auf der Insel ziemlich schnell. Das Hauptergebnis dieser seltsamen Laune war, daß die Männer jetzt alle vielfarbige Pullover geschenkt bekamen, viel zu warm, um sie bei Tage zu tragen, aber nach Sonnenuntergang ganz nützlich.
    „Er ist mit einigen Freunden nach Sparta hinüber“, erwiderte Jean. „Er hat versprochen, zum Essen zurück zu sein.“
    „Ich bin eigentlich nach Hause gekommen, um zu arbeiten“, sagte George nachdenklich, „aber es ist ein schöner Tag, und ich glaube, ich gehe selbst zum Schwimmen hinaus. Was für einen Fisch soll ich dir mitbringen?“
    George hatte nie irgend etwas gefangen, und die Fische in der Lagune waren viel zu schlau, um sich fangen zu lassen. Jean wollte gerade auf diese Tatsache hinweisen, als die Stille des Nachmittags durch einen Ton zerrissen wurde, der noch in diesem friedlichen Zeitalter dazu angetan war, das Blut erstarren zu lassen und einen Angstschauer durch das Gehirn zu jagen.
    Es war das an- und abschwellende Geheul einer Sirene, die ihr Gefahrensignal in konzentrischen Kreisen aufs Meer hinaussandte.
     
    Seit fast hundert Jahren hatte sich hier in der brodelnden Finsternis tief unter dem Grunde des Ozeans der Druck vermehrt. Obwohl die Unterwasserschlucht vor geologischen Zeitaltern gebildet war, hatten sich die gemarterten Felsen nie an ihre neue Lage gewöhnt. Unzählige Male waren die Schichten zerbrochen und hatten

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