Die letzte Generation: Roman (German Edition)
bald niemand mehr Sympathie für sie empfinden würde. In der Stille der Nacht, wenn wenige Menschen unterwegs waren, unternahmen sie gelegentlich lange Spaziergänge. Sie waren sich jetzt näher als je zuvor seit den ersten Tagen ihrer Ehe und hatten angesichts der noch unbekannten Tragödie, die sie bald heimsuchen sollte, wieder zueinander gefunden.
Zuerst hatten sie sich schuldig gefühlt, weil sie die schlafenden Kinder im Haus allein ließen, aber inzwischen hatten sie eingesehen, dass Jeff und Jennifer sich selbst helfen konnten, viel besser, als ihre Eltern ahnten. Außerdem wurden sie von den Overlords überwacht. Dieser Gedanke war beruhigend. George und Jean spürten, dass sie mit ihrem Problem nicht allein waren, sondern dass weise und teilnahmsvolle Augen ihre Wache teilten.
Jennifer schlief. Anders ließ sich ihr Zustand nicht beschreiben. Äußerlich war sie immer noch ein Säugling, doch sie strahlte eine so beängstigende Kraft aus, dass Jean es nicht mehr ertrug, das Kinderzimmer zu betreten.
Es bestand auch gar kein Grund mehr, es zu tun. Das Wesen, das Jennifer Anne Greggson gewesen war, hatte sich noch nicht voll entwickelt, aber selbst im Verpuppungszustand beherrschte es seine Umgebung so weit, dass es allein für seine Bedürfnisse sorgen konnte. Jean hatte nur einmal versucht, Jennifer zu füttern, aber ohne Erfolg. Das Kind zog es vor, zu selbst gewählten Zeiten und auf seine eigene Art Nahrung aufzunehmen.
Denn die Nahrung verschwand in langsamem und stetigem Strom aus dem Kühlschrank, obwohl Jennifer Anne ihr Bett nie verließ.
Das Rasseln hatte aufgehört, und das verschmähte Spielzeug lag auf dem Fußboden des Kinderzimmers, wo niemand es anzurühren wagte, weil Jennifer Anne es vielleicht wieder benutzen wollte. Zuweilen verschob Jennifer die Möbel zu seltsamen Mustern, und George kam es vor, als würden die Fluoreszenzfarben an der Wand heller strahlen als früher.
Jennifer machte keine Schwierigkeiten. Sie benötigte die Hilfe und Liebe ihrer Eltern nicht mehr. Es konnte nicht mehr sehr lange dauern, und in dieser Zeit klammerten sie sich umso verzweifelt an Jeff.
Er veränderte sich ebenfalls, aber er kannte sie noch. Der Junge, dessen Wachstum sie seit den formlosen Nebeln seines Werdens beobachtet hatten, verlor seine Persönlichkeit, löste sich Stunde für Stunde vor ihren Augen auf. Manchmal sprach er noch wie früher mit ihnen und redete von seinen Spielsachen und Freunden, als wäre ihm nicht bewusst, was vor ihm lag. Aber oft sah er sie gar nicht, und kein Anzeichen verriet, ob er ihre Anwesenheit bemerkte. Er schlief nicht mehr, während sie schlafen mussten, obwohl sie das überwältigende Verlangen hatten, möglichst wenige von den letzten noch verbleibenden Stunden zu verschwenden.
Anders als Jennifer schien er keine übernatürliche Macht über körperliche Gegenstände zu besitzen, vielleicht weil er schon älter war und sie nicht mehr so sehr brauchte. Seine Eigenart lag ganz und gar in seinem geistigen Leben, von dem die Träume nur noch einen kleinen Teil bildeten. Er stand stundenlang völlig still, mit fest geschlossenen Augen, als würde er auf Töne lauschen, die niemand sonst hören konnte. In seinen Geist strömte von irgendwoher ein Wissen ein, das bald das halb geformte Wesen, das Jeffrey Angus Greggson gewesen war, überwältigen und zerstören würde.
Die Hündin Fey saß neben ihm, blickte mit traurigen, verwunderten Augen zu ihm auf und schien sich zu fragen, wohin ihr Herrchen gegangen war und wann er zu ihr zurückkehrte.
Jeff und Jennifer waren die Ersten auf der Welt gewesen, aber bald waren sie nicht mehr die Einzigen. Wie eine Epidemie sich schnell von Land zu Land verbreitete, befiel die Verwandlung die gesamte Menschheit. Sie betraf praktisch keinen, der über zehn Jahre alt war, aber von denen, die jünger waren, entkam keiner.
Es war das Ende der Zivilisation, das Ende all dessen, wofür Menschen seit Urzeiten gekämpft hatten. Im Verlauf weniger Tage hatte die Menschheit ihre Zukunft verloren, denn das Herz jeder Art wurde zerstört und ihr Wille zum Weiterzuleben gebrochen, wenn ihr die Kinder genommen wurden.
Es gab keine Panik, wie es noch vor einem Jahrhundert der Fall gewesen wäre. Die Welt war erstarrt, die großen Städte still und schweigsam geworden. Nur die lebenswichtigen Industrien arbeiteten weiter. Es war, als würde der Planet Trauer tragen und um all das klagen, was jetzt nie mehr sein konnte.
Und dann
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