Die letzte Generation: Roman (German Edition)
oder die Kräfte, die das Gehen unnötig machten, nicht einsetzen wollten.
Wenn sie leblose Gegenstände bewegen konnten, dachte George, mussten sie zweifellos auch ihre eigenen Körper bewegen können. Warum wurden sie überhaupt von den Schiffen der Overlords abgeholt?
Es war bedeutungslos. Sie gingen fort, und auf diese Weise sollte es eben geschehen.
Und jetzt begriff George plötzlich, was sein Gedächtnis beschäftigt hatte. Irgendwo hatte er vor langer Zeit eine hundert Jahre alte Wochenschau über eine ähnliche Auswanderung gesehen. Es musste zu Beginn des Ersten oder Zweiten Weltkriegs gewesen sein. Es waren lange Reihen von Eisenbahnzügen gewesen, voller Kinder, die langsam aus den bedrohten Städten hinausfuhren und Eltern zurückließen, die viele von ihnen nie wiedersehen würden. Einige weinten, einige waren verwirrt und klammerten sich krampfhaft an ihre wenigen Habseligkeiten, die meisten aber schienen voller Eifer auf ein großes Abenteuer zu hoffen.
Und doch war der Vergleich falsch. Die Geschichte wiederholte sich nie. Die nun aufbrachen, waren keine Kinder mehr, was immer sie auch sein mochten. Und diesmal würde es keine Heimkehr geben.
Das Schiff war am Ufer gelandet und tief in den weichen Sand eingesunken. Die großen, gewölbten Schotten glitten gleichzeitig nach oben, und die Rampen streckten sich wie Metallzungen zum Strand aus. Die verstreuten, unaussprechlich einsamen Gestalten vereinigten und sammelten sich zu einer Menge, die sich genauso bewegte, wie es eine Menschenmenge tun würde.
Einsam? Warum hatte er das gedacht, fragte sich George. Denn das war das Einzige, was sie nie wieder sein konnten. Nur Individuen konnten einsam sein, nur menschliche Wesen. Wenn die Schranken endlich gefallen waren, würde die Einsamkeit verschwinden, so wie die Persönlichkeit verging. Die zahllosen Regentropfen hatten sich im Meer vereinigt.
Er spürte, wie Jean seine Hand in plötzlicher Erregung fester drückte. »Sieh doch!«, flüsterte sie. »Ich kann Jeff sehen. An der zweiten Tür.«
Die Szene war weit entfernt und nur schwer zu erkennen. Vor Georges Augen lag ein Nebel, der das Sehen erschwerte. Aber es war Jeff, er war fest davon überzeugt. Jetzt konnte George seinen Sohn erkennen, der bereits einen Fuß auf den metallenen Laufsteg gesetzt hatte.
Dann drehte Jeff sich um und blickte zurück. Sein Gesicht war nur ein weißer Fleck. Bei dieser Entfernung konnte man nicht sagen, ob irgendeine Spur von Erkennen darin lag, eine Erinnerung an das, was er zurückließ. George würde auch nie erfahren, ob Jeff sich nur zufällig zu ihnen umgedreht hatte oder ob er in diesen letzten Augenblicken, da er noch ihr Sohn war, wusste, dass sie ihn beobachteten, während er in das Land hinüberging, das sie nie betreten konnten.
Die großen Türen schlossen sich. Und in diesem Augenblick hob Fey die Schnauze und stieß ein leises, verzweifeltes Klagen aus. Sie wandte ihre schönen klaren Augen George zu, und er wusste, dass sie ihr Herrchen verloren hatte. George hatte jetzt keinen Rivalen mehr.
Für die Zurückgebliebenen gab es viele Wege, aber nur eine Bestimmung. Manche sagten: »Die Welt ist immer noch schön. Eines Tages müssen wir sie verlassen, aber warum sollten wir unseren Aufbruch beschleunigen?«
Andere jedoch, die mehr Gewicht auf die Zukunft als auf die Gegenwart gelegt und alles verloren hatten, was ihnen das Leben lebenswert machte, hatten kein Verlangen, länger zu verweilen. Sie schieden aus dem Leben, allein oder mit Freunden, je nach Veranlagung.
Genauso geschah es mit Athen. Die Insel war im Feuer geboren, und im Feuer wollte sie sterben. Alle, die fortgehen wollten, taten es, die meisten aber blieben, um zwischen den zerbrochenen Trümmern ihrer Träume das Ende zu erwarten.
Niemand konnte wissen, wann die Zeit kommen würde. Dennoch erwachte Jean in der Stille der Nacht und starrte für einen Augenblick zum gespenstischen Schimmer an der Decke hinauf. Dann griff sie nach Georges Hand. Er hatte einen gesunden Schlaf, doch diesmal erwachte er sofort. Sie sprachen nicht, denn die Worte, die nötig gewesen wären, gab es nicht.
Jean hatte keine Angst mehr, sie war nicht einmal traurig. Sie hatte die stillen Gewässer erreicht und die stürmischen Gefühlsregungen hinter sich gelassen. Aber eine Sache musste noch getan werden, und sie wusste, dass kaum Zeit dafür blieb.
George folgte ihr durch das schweigende Haus. Sie gingen über den Streifen aus Mondlicht, der
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