Die letzte Generation
George und deutete mit dem Finger auf die Mittelspalte. »Lies es nur noch einmal.«
»Besonders wohltuend für das Auge war das zarte Pastellgrün des Hintergrundes bei den Balletteinlagen. Ja, und?«
»Es war nicht grün. Ich habe viel Zeit darauf verwendet, gerade diese blaue Schattierung herauszubekommen. Und was geschieht? Irgendein verdammter Techniker im Kontrollraum bringt das Farbgleichgewicht durcheinander, oder dieser Idiot von einem Kritiker hat einen farbenblinden Apparat. Was für eine Farbe hatte es auf unserm Bildschirm?«
»Tja – daran kann ich mich nicht erinnern«, gestand Jean. »Püppi fing gerade an zu schreien, und ich mußte nachsehen, was mit ihr los war.«
»Oh!« sagte George und verfiel in eine leise kochende Ruhe. Jean wußte, daß jeden Augenblick ein neuer Ausbruch zu erwarten war. Als er jedoch erfolgte, war er ziemlich sanft.
»Ich habe eine neue Definition für das Fernsehen gefunden«, murmelte George düster. »Ich bin der Meinung, daß es ein Mittel ist, die Verbindung zwischen Künstler und Publikum zu verhindern.«
»Was willst du dagegen tun?« gab Jean zurück. »Zum lebenden Theater zurückkehren?«
»Und warum nicht?« fragte George. »Genau daran habe ich gedacht. Du erinnerst dich an den Brief, den ich von den Neu-Athenern bekommen habe? Sie haben mir wieder geschrieben. Diesmal werde ich antworten.«
»Wirklich?« sagte Jean, etwas beunruhigt. »Ich denke, sie sind eine Gruppe von Verschrobenen?«
»Nun, das kann man nur auf eine einzige Art und Weise feststellen. Ich werde sie innerhalb der nächsten vierzehn Tage aufsuchen. Ich muß sagen, daß die Schriften, die sie herausbringen, durchaus vernünftig wirken. Und sie haben einige sehr gute Leute.«
»Wenn du erwartest, daß ich anfangen soll, auf einem Holzfeuer zu kochen oder mich in Felle zu hüllen, dann mußt du …«
»Oh, sei nicht so albern! Diese Erzählungen sind doch Unsinn. Die Kolonie hat alles, was für das zivilisierte Leben notwendig ist. Sie glauben nicht an unnötige Kinkerlitzchen, das ist alles. Übrigens ist es Jahre her, seit ich den Pazifik besucht habe. Es wird für uns beide ein netter Ausflug sein.«
»Darin bin ich deiner Meinung«, sagte Jean, »aber ich habe nicht die Absicht, unsern Sohn und Püppi zu polynesischen Wilden werden zu lassen.«
»Das wird nicht geschehen«, erwiderte George, »das kann ich dir versprechen.«
Er hatte recht, wenn auch nicht so, wie er es erwartet hatte.
»Wie Sie beim Ausflug bemerkt haben werden«, sagte der kleine Mann auf der andern Seite der Veranda, »besteht die Kolonie aus zwei Inseln, die durch einen Damm verbunden sind. Dies ist Athen, die andere Insel haben wir Sparta getauft. Sie ist ziemlich wild und bergig und wundervoll für Sport oder Wanderungen geeignet.« Seine Augen glitten für einen Moment über die Gürtellinie seines Besuchers, und George beugte sich auf dem Rohrsessel leicht vor. »Sparta ist übrigens ein erloschener Vulkan. Wenigstens behaupten die Geologen, daß er erloschen ist, haha!
Aber zurück zu Athen. Der Gedanke der Kolonie ist, wie Sie wohl erraten haben, eine unabhängige, beständige kulturelle Gruppe mit eigenen künstlerischen Traditionen aufzubauen. Ich möchte daraufhinweisen, daß wesentliche Forschungen unternommen wurden, bevor wir dies Unternehmen begonnen haben. Es ist wirklich so etwas wie angewandte Sozialkunde, auf außerordentlich verwickelten Berechnungen beruhend, die zu verstehen ich mir nicht anmaßen würde. Ich weiß nur, daß die mathematischen Soziologen berechnet haben, wie groß die Kolonie sein müßte, wie viele Typen von Menschen sie einschließen sollte und vor allem, welche Verfassung sie haben muß, um langfristig Bestand zu haben.
Wir werden von einem Rat von acht Direktoren regiert, die Produktion, Kraftmittel, Sozialverwaltung, Kunst, Wirtschaft, Wissenschaft, Sport und Philosophie vertreten. Es gibt keinen ständigen Vorsitzenden oder Präsidenten. Dieses Amt wird von jedem der Direktoren der Reihe nach ein Jahr lang ausgeübt.
Unsere jetzige Bevölkerung beträgt etwas über fünfzigtausend, also etwas weniger als die gewünschte Höchstzahl. Deshalb sehen wir uns nach Zuwachs um. Und natürlich gibt es gewisse Verluste: Wir sind in bezug auf die spezialisierten Talente noch nicht ganz autark.
Hier auf dieser Insel versuchen wir, etwas von der Unabhängigkeit der Menschheit, ihre künstlerischen Überlieferungen, zu retten. Wir empfinden keine Feindschaft gegen die
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