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Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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sagte der Große, nachdem er
einen Blick mit dem Kleinen gewechselt hatte. Offenbar trafen die
beiden alle Entscheidungen grundsätzlich gemeinsam. Sie
folgten den Außenmauern des Klosters, bis sie zu einer Pforte
kamen. Der Kleine schloss auf und trat beiseite, um Tron und Bossi
einzulassen. An der Stirnwand der Werkstatt war eine große
Kohlezeichnung der Schutzmantelmadonna befestigt, die
auszubessernden Partien waren mit Rötel markiert. Daneben hing
eine Zeichnung des heiligen Sebastian, der wie üblich
lediglich mit einem knappen Höschen und ein paar Pfeilen
bekleidet war. Seine Züge wiesen eine auffällige
Ähnlichkeit mit dem Gesicht des kleinen Mönchs auf. Na
bitte, dachte Tron. Zwei helle Petroleumlampen auf einem
Arbeitstisch warfen flackerndes Licht auf die grobverputzten
Wände. Neben dem Tisch führte eine Tür in den
Klosterkomplex.
    «Er ist unser
Meister», sagte der Große. Sein Blick ruhte auf dem
heiligen Sebastian. Tron war einen Moment lang verwirrt, dann
begriff er, dass Petrelli gemeint war. Unklar blieb allerdings,
was Meister heißen sollte.
    «Signor Petrelli
ist Steinmetz», erläuterte der Kleine. «Er kommt
jeden Morgen aus der Stadt.»
    «Und was tut er
hier?»
    «Er leitet uns
an», sagte der Große. «Wir restaurieren die
Reliefs am Eingang.»
    «Ist Petrelli
schon lange hier auf San Lazzaro?»
    Wieder steckten die
beiden die Köpfe zusammen und tuschelten. Schließlich
sagte der Kleine. «Seit zwei Jahren.»
    «Wissen Sie, was
er vorher gemacht hat?»
    «Ich glaube, er
kam aus Rom. Er hat dort in Santa Maria Novella
gearbeitet.»
    *
    «Es war Santa
Maria dei Miracoli», sagte plötzlich eine Stimme von der
Tür her. Dann setzte sie in ungeduldigem Ton hinzu:
«Geht jetzt wieder an eure Arbeit.» Tron und Bossi
drehten sich hastig um.
    Der Mann, der in der
Tür stand und den Abzug der beiden Mönche verfolgte, war
mittelgroß und schlank. Was sofort ins Auge fiel, war die
prominente, leicht gebogene Nase der alten venezianischen Familien.
Das Licht der beiden Petroleumlampen traf ihn von der Seite und
wurde von seinem Kneifer reflektiert - es schien, als würden
kleine Funken aus den Gläsern sprühen. Er trug eine
schwarze Soutane, darüber einen dunkelblauen Umhang aus feinem
Wollstoff. Es war nichts Auffälliges an dieser Kleidung, hohe
Beamte der Kurie traten oft prächtiger auf. Dennoch ging
gerade von ihrer Schlichtheit eine leichte Irritation aus. Es war
die diskrete, nur auf den zweiten Blick zu erkennende Eleganz
seiner Erscheinung, die dem Mann auf der Schwelle einen Einschlag
ins Weltliche gab. Dazu kam ein gutgeschnittenes Gesicht. Man
brauchte nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass die
Frauen ihn liebten und er diesen Umstand gelegentlich ausnutzte. Im
Übrigen hatte der Mann reinstes Veneziano gesprochen. Es
konnte sich nur um Contarini handeln, den Monsignore, den der Papst
nach Venedig geschickt hatte, um ... Ja, was eigentlich, fragte
sich Tron.
    «Monsignore
Contarini?»
    Das war eine
Erkundigung von so offensichtlicher Überflüssigkeit, dass
sich sofort ein schmales Lächeln auf Contarinis Lippen
schlich. Er deutete eine ironische Verbeugung an. Plötzlich
fand Tron das ironische Gehabe Contarinis genauso affig wie dessen
übertrieben unauffällige Eleganz.
    «Commissario
Tron? Conte Tron?»
    Tron verbeugte sich
ebenfalls und wies auf Bossi. «Das hier ist Ispettore
Bossi.»
    Contarini gönnte
Bossi keinen Blick, sondern hielt weiterhin die Augen auf Tron
gerichtet. Er musterte den abgewetzten Zylinder und den schadhaften
Pelzkragen von Trons Mantel. Aber Contarini, dachte Tron,
würde daraus keine falschen Schlüsse ziehen. Der Mann
wirkte nicht wie ein Dummkopf.
    Überhaupt - die
Contarinis und die Trons. Das war eine lange Geschichte. Wie oft
waren die Trons und die Contarinis im Lauf der Jahrhunderte
aneinandergeraten - im Streit um Ämter, um Frauen, um Weizen,
Salz und um Glas. Tron war überzeugt davon, dass Contarini
diese Geschichten ebenso präsent waren wie ihm selber.
Vorläufig jedoch blieb man höflich.
    «Es verwundert
mich, Commissario», sagte Contarini, «dass die
venezianische Polizei ohne Kenntnis der Klosterleitung ein
Verhör durchführt. Auf dem Territorium der heiligen
Kirche. Der Dienstweg verläuft in jedem Fall über mich.
Wenn man es genau nimmt», setzte er noch hinzu, «über eine
offizielle Anfrage des Polizeipräsidenten beim Patriarchen von
Venedig.»
    Da hatte er zweifellos
recht. Das diffizile Verhältnis von Staat

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