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Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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und Kirche
funktionierte nur, wenn beide das Territorium der anderen Partei
respektierten. Und die Befugnisse der venezianischen Polizei
endeten an den Klostermauern.
    «Wir haben
niemanden verhört, Monsignore», sagte Tron. «Wir
unterhielten uns lediglich über Signor
Petrelli.»
    «Er soll seit
zwei Tagen nicht erschienen sein. Ist irgendetwas
passiert?»
    «Er ist in der
Nacht vom Sonnabend auf Sonntag in seiner Wohnung erschossen
worden», sagte Tron.
    Es war nicht zu
erkennen, wie Contarini diese Nachricht aufnahm, denn er hatte
seinen Kopf abgewandt, und sein Gesicht lag im Schatten. Es dauerte
einen Augenblick, bis er wieder sprach. «Von
wem?»
    «Das wissen wir
nicht», sagte Tron. «Wir wissen nur, dass Petrelli in
den Stunden zuvor in den Palazzo Tron eingebrochen war und dort
einen Glaspokal entwendet hatte.»
    «Einen alten
Glaspokal aus dem Familienbesitz?»
    «Den Prototyp
eines Eisbechers. Der Pokal war wertlos.»
    «Diesen Pokal
hat Petrelli gestohlen und ist anschließend in seiner Wohnung
erschossen worden?»
    «So sieht es
aus.»
    «Und der
Pokal?»
    «Der war nicht
in Petrellis Wohnung. Offenbar hat ihn der Mörder
mitgenommen.»
    Contarini musterte
nachdenklich seinen Siegelring. Dann sagte er: «Warum stiehlt
Petrelli einen wertlosen Pokal? Und warum wird er
anschließend ermordet?»
    «Ich weiß
es nicht», sagte Tron. «Deshalb müssen wir mehr
über Petrelli erfahren. Er kam also aus Rom in dieses
Kloster.»
    Contarini nickte.
«Vor zwei Jahren. Ich war ihm damals behilflich. Er hat in
Santa Maria dei Miracoli gearbeitet, und ich wohnte in der Via
Ripetta. Offenbar kannte er mich und hat mich
angesprochen.»
    «Was wollte
er?»
    «Weg aus
Rom», sagte Contarini. «Wieder nach Venedig. Und da
konnte ich ihm diese Stelle auf San Lazzaro
vermitteln.»
    «Was wissen Sie
sonst noch über ihn?»
    «Petrelli war
Soldat und hat nach Solferino den Dienst quittiert», sagte
Contarini nach kurzem Nachdenken. Er schüttelte verwundert den
Kopf. «Was ist das für eine seltsame Geschichte,
Commissario.»
    «Seltsam ist
auch der Einbruch in Ihre Sakristei», bemerkte Tron.
«Offenbar hat der nächtliche Einbrecher ebenfalls einen
Glaspokal gestohlen.»
    Contarinis Kinn hob
sich ruckartig. «Wer hat das gesagt?», fragte er
scharf.
    «Einer der
Steinmetze», antwortete Tron. «Sie dachten, wir
wären auch wegen des Einbruchs nach San Lazzaro
gekommen.»
    «Es gab niemals
die Absicht, die Polizei einzuschalten. Dieser Abendmahlskelch war
wertlos», sagte Contarini knapp. Sein Tonfall signalisierte,
dass seine Geduld mit den beiden Polizisten erschöpft
war.
    Tron lächelte.
«Darf ich noch fragen, seit wann Sie in Venedig sind,
Monsignore?»
    «Seit drei
Wochen.»
    «Sie wohnen auf
San Lazzaro?»
    «Nein»,
sagte Contarini. «Ich habe eine Unterkunft im Seminario
Patriarchale.» Er löste sich von der Werkbank, an die er
sich gelehnt hatte, und strich seine Soutane glatt. «Richten
Sie dem Polizeipräsidenten einen Gruß von mir
aus», sagte er. «Er war etwas aufgewühlt bei
unserem letzten Gespräch.»
    «Sie kennen den
Baron?»
    «Wir hatten
etwas zu klären.» Contarini seufzte. «Es ist nun
mal die Aufgabe der heiligen Kirche, dafür zu sorgen, dass die
Gebote des Herrn beachtet werden.» Er wandte sich zur
Tür und sagte, die Klinke bereits in der Hand: «Da kann
Bigamie nicht geduldet
werden.»    
    *
    Aprilwetter im
Februar, dachte Tron, während er mit Bossi wieder ins Freie
trat. Das war natürlich absurd, aber ebenso absurd war der
plötzliche Wetterumschlag, der eingetreten war, während
sie mit Contarini gesprochen hatten. Am Himmel zeigte sich jetzt
blasses Blau zwischen schleierdünnen Wolken, aber vor allen
Dingen hatten sie kein weißes Nichts mehr zu durchqueren,
angewiesen auf Bossis Orientierungssinn, dem Tron nie ganz traute.
Die Isola San Servolo war zu erkennen, dahinter, winzig, aber
durchaus sichtbar, der Campanile von San Giorgio. Zwar mussten sie
sich, nachdem sie die verschneite Eisfläche der östlichen
Lagune betreten hatten, hin und wieder durch Schneeverwehungen
kämpfen, aber diesmal kamen sie gut
voran.      
    Die ersten zehn
Minuten waren sie schweigend marschiert. Bossi lief, wie auf dem
Hinweg, wieder zwei Schritte vorneweg. Als sie die Isola di San
Servolo passiert hatten - an dieser Stelle hatte Tron bezweifelt,
jemals wieder heil nach Hause zu kommen -, blieb der Ispettore
stehen und drehte sich um.
    «Hat Contarini
behauptet, dass der Baron noch mit einer

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