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Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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die sich in dieser Jahreszeit mit dem Einbruch der
Dunkelheit leerten, würde Flyte ihn bemerken. Außerdem
bot die Calle del Pozzo ideale Bedingungen. Da war der Durchgang zu
einem Hof, ein dunkler sottoportego, der ihm einen guten
Beobachtungsposten bot. Und ein paar Schritte weiter gab es ein an
der Hausecke befestigtes Öllämpchen, dessen Schein es
gestattete, sich nähernde Passanten zu
identifizieren.
    Wobei ihm allerdings,
dachte er, nicht wieder eine Verwechslung unterlaufen durfte. Vor
einer halben Stunde hätte er beinahe den falschen Mann
getötet - der Bursche hatte sich mit dem charakteristischen,
etwas steifen Gang des Engländers genähert, und wie Flyte
hatte er sogar eine Pelzmütze getragen. Ob er begriffen hatte,
dass er beinahe erschossen worden wäre? Wahrscheinlich nicht.
Er mochte sich allenfalls ein wenig erschrocken haben, als ein
Maskierter aus der Dunkelheit an ihn herantrat. Jedenfalls hatte er
die Begegnung überlebt. Der Mann mit der Pestmaske hatte
rechtzeitig erkannt, dass es sich um einen Unbekannten handelte,
und war mit einem gemurmelten permesso zurückgetreten.
    Es war kurz vor sieben
Uhr, als Flyte endlich wieder auftauchte. Um ganz sicher zu sein,
trat der Mann mit der Pestmaske auf ihn zu und sprach ihn an. Er
flüsterte, um seine Stimme unkenntlich zu machen. Nicht, dass
es darauf noch ankam, aber man konnte nie wissen. «Mr.
Flyte?»
    Flyte, der
plötzlich einen Maskierten aus der Dunkelheit des sottoportego auf sich zutreten sah,
blieb irritiert stehen. «Ja bitte?»
    Kein Zweifel, es war
Flyte. Trotz des schwachen Lichts auf dem Grund der calle waren seine
wasserblauen Augen jetzt deutlich zu erkennen. Der Umschlag, den er
in der Hand gehalten hatte, als er das Haus verließ, war
nicht mehr da -bedauerlich, aber nicht zu ändern.
    Der Mann mit der
Pestmaske verzichtete darauf, das Gespräch fortzusetzen. Er
hob die Derringer, die er in der Hand gehalten hatte, auf Flytes
Brusthöhe und drückte ab. Es gab einen nicht besonders
lauten, puffenden Knall, der eher harmlos klang. Das Projektil
eines Armeerevolvers mit kräftigem Durchschlag hätte
Flyte gegen die Wand geworfen, aber die Kugel der Derringer
drückte ihn nur ein wenig nach hinten. Flyte hob kurz die Arme
und sank dann in sich zusammen. Im Fallen war zu erkennen, dass auf
seinem Mantel ein Loch klaffte, genau dort, wo es sein sollte,
knapp unter dem rechten Rippenbogen. Flyte kippte zur Seite, wobei
er etwas murmelte, was der Mann mit der Pestmaske nicht verstand.
Dann lag er mit geschlossenen Augen in einer Schneewehe, die sich
am Rand der Gasse gebildet hatte. Der Mann mit der Pestmaske ging
in die Knie und betrachtete die kaum faustgroße zerfetzte
Stelle auf Flytes Brust. Ausgetretenes Blut war nicht zu erkennen,
aber das Projektil saß genau im Ziel. Es war unnötig,
Flyte - wenn er überhaupt noch lebte - einen Fangschuss zu
geben. Der Engländer würde entweder verbluten oder
erfrieren. Er erhob sich und schob den leblosen Körper mit dem
Fuß noch ein wenig an das Haus heran.

23
    Tron legte die
Blätter, in denen er gelesen hatte, auf das kleine Tischchen,
das zwischen seinem Sessel und der Recamiere der Principessa stand.
Die Art und Weise, in der Flyte seine Aufgabe erledigte, gefiel
ihm, und er fragte sich, ob die lateinische Originalversion der
Aufzeichnungen Zanetto Trons ebenso lebendig daherkam. Ja,
wahrscheinlich. Flyte verfasste ja keinen Roman. Als
Wissenschaftler war er gehalten, dem originalen Wortlaut des Textes
so genau wie möglich zu folgen. Es war wohl, dachte Tron, der
frische Blick seines erlauchten Vorfahren selbst, seine Ehrlichkeit
und seine unverblümte Schlitzohrigkeit, die seine
Aufzeichnungen so lebendig machten.
    «Sehr
schön», sagte Tron.
    Er warf einen Blick
auf die Principessa, die auf ihrer Recamiere in irgendeinen
Geschäftsbericht vertieft war. Hatte sie gehört, was er
eben gesagt hatte? Nein, offenbar nicht. Denn sonst hätte sie
ihn sofort gefragt, was sehr schön sei. Tron fand es
bemerkenswert, mit welcher Genauigkeit er inzwischen die Reaktionen
der Principessa Vorhersagen konnte.
    «Was ist sehr
schön, Tron?» Die Principessa hatte
sich nach rechts gewandt und sah Tron an. Mit ihrem schwarzen
Stirnband, unter dem ein paar Locken herausguckten, sah sie jetzt
aus wie Madame Recamier höchstpersönlich. «Etwas
für den Emporiob»
    «Vielleicht», sagte
Tron, der einen Augenblick lang verwirrt war.
    «Gedichte?», hakte die
Principessa nach.
    Tron schüttelte
den

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