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Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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von München. Oder westlich davon.
Jedenfalls in Süddeutschland. Ich glaube, der dicke Priester
ist der Anführer.»
    «Woran erkennen
Sie das?»
    «Er trägt
einen dicken, fetten Goldring am Finger. Mit einem ziemlich
großen Stein. So einen Ring nennt man annulus
pontificalis. So genau kann ich das nicht
erkennen, aber theoretisch müsste der Stein ein violetter
Quarzit sein.»
    «Ein was, bitte?»
    «Ein
Amethyst», sagte Tron. « Amethystos ist griechisch und
heißt dem Rausch
entgegenwirkend.» Er lachte leise. «Ist das
nicht hübsch? Nimm den Ring, das Siegel der
Treue, damit du Gottes heilige Braut, die Kirche, geschmückt
durch unwandelbare Treue, unverletzt
behütest», zitierte er.
    «Was ist
das?»
    «Die rituelle
Formel, die bei der Amtseinführung und der Überreichung
des Ringes gesprochen wird. Wenn der Stein groß genug ist,
eine schöne Farbe hat und keine Einschlüsse, spricht man
von Bischofsqualität.»
    «Moment mal,
Commissario. Wollen Sie damit etwa sagen, dass der dicke Priester
mit dem Ring am Finger und der Frau auf dem Schoß der Bischof
von Augsburg ist?»
    Tron hatte sich wieder
aufgerichtet. «Es sieht ganz danach aus, Bossi. Und offenbar
ist der Bischof mit den hiesigen Verhältnissen ziemlich
vertraut.»
    «Und was machen
wir jetzt? Wenn die Küche der einzige Zugang zu den Fluren
ist?»
    «Ganz
einfach», sagte Tron. «Wir rütteln an der Klinke,
ohne die Tür zu öffnen, und ich werfe wieder einen Blick
durchs Schlüsselloch. Wir sollten den Damen eine halbe Minute
Zeit geben.»
    «Wofür?»
    «Um in der
Speisekammer zu verschwinden. Und wenn sie verschwunden sind,
öffnen wir die Tür, betreten die Küche und
begrüßen die Herren. Selbstverständlich sind wir
erstaunt, dass wir in der Küche auf zwei deutsche Priester
treffen. Es schadet auch nichts, wenn wir einen leicht ertappten
Eindruck machen. So als hätten wir ein schlechtes Gewissen und
gute Gründe, den Hintereingang zu benutzen.»
    «Und wenn uns
der Bischof zur Rede stellt?»
    «Das wird er
nicht», sagte Tron. «Und wenn er es tut, gehe ich zur
Speisekammer und öffne die Tür. Aber die Herren werden
froh sein, wenn sie uns gleich wieder los sind.»
    «Wie
verhält man sich gegenüber einem
Bischof?»
    «Wenn er
aufsteht und es zu einer Begrüßung kommt, müssen
Sie den Ring küssen. Dann wird er ein paar unverbindliche
Worte sagen, und wir können wieder gehen.» Tron ging in
die Knie, presste das Auge an das Schlüsselloch und
rüttelte vorsichtig an der Tür.
    Es war eine der beiden
Frauen, die als Erste reagierte. Sie rutschte vom Schoß des
Bischofs und zog ihr Kleid nach unten, das der hohe Herr offenbar
nach oben geschoben hatte. Dann legte sie den linken Zeigefinger
auf den Mund und wies mit der rechten Hand zur Tür. Der
Bischof, der dünne Priester und die zweite Frau waren
ebenfalls erschrocken aufgesprungen. Einen Moment lang standen alle
regungslos da und starrten auf die Tür. Ohne die Augen vom
Schlüsselloch zu nehmen, bewegte Tron die Türklinke
langsam nach unten. Jetzt kam schlagartig Bewegung in die Gruppe.
Der Bischof sagte etwas, das Tron nicht verstand. Aber er sah den
hohen Herrn gestikulieren und wie die Frauen hastig die
Speisekammer ansteuerten und darin verschwanden. Dann schloss der
dünne Priester die Tür hinter ihnen und eilte an den
Tisch zurück. Durch das Schlüsselloch sah Tron, wie die
beiden Geistlichen nervöse Blicke auf die Tür
warfen.    
    Er richtete sich auf
und nickte Bossi zu. Dann drückte er die Klinke nach unten und
betrat die Küche. An der Tür hielt er scheinbar
erschrocken inne. «Ohhhh ...», stammelte er. «Wir
wussten nicht, dass um diese Zeit...»
    Der Bischof war
aufgesprungen und funkelte die Störenfriede, die ihm und
seinem Bruder in Christo den Abend verdorben hatten, wütend
an. Ein paar Jahrhunderte zuvor, dachte Tron, wären er und
Bossi unweigerlich vor dem Inquisitionsgericht gelandet. Und
anschließend, nach ein wenig Folter, auf dem Scheiterhaufen.
Doch der hohe Herr erinnerte sich offenbar daran, dass er
mittlerweile im Zeitalter der Eisenbahn, des Gaslichts und der
Telegraphie lebte. Er beschränkte sich darauf, missbilligend
den Kopf zu schütteln, und hob die Hand mit dem Ring. Er
rülpste, schwankte gefährlich und musste sich mit der
anderen Hand auf dem Tisch abstützen, wobei er sein Weinglas
umstieß, das klirrend
zerbrach.      
    Tron wusste, was er zu
tun hatte. Er ging hastig in die Knie und küsste den annulus
pontificalis,

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