Die letzte Lagune
Sie das richtig? Mich deshalb zu
entlassen? Nur wegen einer offenen Schublade? Meine Cousine war mal
bei einer Gräfin Morosini in Stellung, gleich hier um die Ecke
in der Calle Muazzo. Die musste immer am Sonntag das Silber putzen,
und die alte Morosini hat das dann alles nachgezählt, und dann
hat mal ein Löffel gefehlt. Wissen Sie, was die Morosini
gemacht hat? Sie hat sie einfach gefeuert. So wie mich die Parker
gefeuert hat. Aus heiterem Himmel. Gewissermaßen Knall auf
Fall.»
«Signorina
Bianchi, eigentlich wollten Sie mir ...» Tron lächelte
höflich.
«Dabei ist der
Grund ein ganz anderer gewesen. Der Graf hatte nämlich ein
Auge auf meine Cousine geworfen, und das hat die Gräfin
gemerkt und hat dann sofort...»
«Signorina, Sie
wollten mir etwas Wichtiges über Holly Parker
sagen.»
«Und hat dann
sofort, gewissermaßen Knall auf Fall, dafür gesorgt,
dass meine Cousine aus heiterem Himmel gefeuert wurde. Nur weil der
Herr Graf...»
«Signorina, was
ist mit Holly Parker?»
Signorina Bianchi, die
auf der anderen Seite von Trons Schreibtisch in der Questura
saß, hob die Augen von dem Kuchen, der vor ihr stand und den
sie bereits zur Hälfte verspeist hatte. Dazu trank sie bereits
die zweite Tasse Kaffee und schien die Behandlung, die man ihr in
der Questura angedeihen ließ, durchaus zu genießen.
Signorina Bianchi war höchstens zwanzig, blond, mit weit
auseinanderliegenden, schrägstehenden Augen, prächtigen
weißen Zähnen und einer äußerst lebhaften
Art, sich zu äußern. Und hübsch war die Signorina,
dachte Tron, ausgesprochen lecker, mit vollen Lippen, hohen
Wangenknochen und ein wenig schweren Augenlidern, so wie die
Frauengesichter Tiepolos, die ihn schon als Schüler auf dem
Seminario Patriarchale fasziniert hatten.
Tron hatte sich nach
seinem Gespräch mit Peggotty in das Florian begeben, um dort
sein spezielles Tron-Mittagessen einzunehmen, als
Sergente Caruso plötzlich auftauchte. Eine Signorina sei
aufgeregt in der Questura erschienen, die wichtige Informationen
zum Marchmain-Mord habe, aber darauf bestehe, nur mit dem
Commissario persönlich zu reden. Sie warte ungeduldig in
seinem Büro - ob er sofort kommen könne? Also hatte sich
Tron den Kuchen, der bereits auf dem Tisch stand - zwei luftige
Eclairs, zwei Stück Kirschtorte und eine Himbeerschnitte mit
Marzipanüberzug -, einpacken lassen und war damit zur Questura
gelaufen. Da die Signorina den Kuchen, den Tron auspackte, mit
unverhohlenem Appetit betrachtete, hatte Tron ihr davon angeboten.
Sie war sofort mit großer Unbefangenheit über die
Eclairs hergefallen. Signorina Bianchi war ein
Zitronentörtchen, wie es im Buche steht, mit grünlichen
Katzenaugen, die Tron sofort an die Dame seines Herzens denken
ließ - da saß eine volkstümliche und etwas
jüngere Ausgabe der Principessa, nur dass Signorina Bianchi so
arm war wie eine Kirchenmaus und ein veneziano stretto sprach, das man,
dachte Tron, vermutlich bereits auf dem Festland nicht mehr
verstand.
«Also, ich
glaube nicht, dass Signorina Parker mich nur deshalb Knall auf Fall
aus dem Palazzo Zafon geworfen hat, weil ich ein bisschen sauber
machen wollte.»
«Warum denn
sonst?»
«Weil sie etwas
in ihrer Schublade hatte, das niemand sehen durfte. Ich hab das ja
alles auch erst anschließend kapiert, als mir Maria von der
Derringer erzählte, mit der Mr. Marchmain erschossen
wurde.»
«Wer ist
Maria?»
«Eine andere
Cousine von mir. Sie arbeitet für Signor Knarz in der Kantine
des Fenice. Sie hat früher in der Kantine vom Malibran
gearbeitet, aber da musste sie immer nur abwaschen, und dann hat
ihr auch noch dieser dicke Pächter nachgestellt, ein gewisser
...»
«Signorina! Sie
wollten mir etwas über eine Derringer erzählen. Erinnern
Sie sich?»
«Ja, richtig.
Die Derringer. Kann ich noch ein Stück von diesem Kuchen
haben, Commissario? Von dem mit der Füllung? Wie sagten Sie
dazu? Ekkel...»
«Eclair,
Signorina. Dieses wohlschmeckende Gebäck heißt Eclair.
Sie können anschließend auch gerne noch diese
Himbeerschnitte mit Marzipanüberzug haben», erwiderte
Tron, weil es ihm ein bizarres Vergnügen bereitete, Signorina
Bianchi beim Essen zu betrachten. «Was war nun mit der
Derringer?»
Signorina Bianchi
konnte nicht sofort antworten, denn sie hatte sich eine weitere
Gabel von dem Eclair in den Mund gestopft. Schließlich sagte
sie, leicht undeutlich, weil sie noch kaute: «Sie war wieder
da. Lag auf der Unterwäsche.»
«Signorina
Parker besitzt eine
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