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Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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wollte so
schnell wie möglich nach Hause.» Sie war vor den Kamin
getreten und betrachtete die Photographie des Mannes mit dem
Tropenhelm.
    Einer plötzlichen
Eingebung folgend, fragte Tron: «Ist das Ihr Vater, Signorina
Parker?»
    «Ja»,
sagte Holly Parker. «Er war Major bei den Bengal Lancers. Er ist 1856 bei
Daudpur gefallen.»
    «Daudpur?»
    «Nordindien»,
erklärte Holly Parker.
    «Wo waren Sie
damals?», erkundigte sich Tron.
    «Auf einer
Schule in Brighton», sagte sie. «Das war das Jahr, in
dem auch meine Mutter starb und Mr. Marchmain mich zu sich nach
London genommen hat. Er kam gerade aus Amerika. Ich war ein knappes
Jahr bei ihm.» Sie stockte und ihr Gesicht verdüsterte
sich. «Danach ging ich in ein Pensionat.»
    «Seit wann sind
Sie in Venedig?»
    «Seit Dezember
letzten Jahres.»
    «Und in welcher
Position?»
    «Sagen wir, als
Haushälterin meines Onkels», erwiderte Holly Parker.
«Ich beaufsichtige das Personal.»
    «Und legen auch
selber Hand an, wenn es Ihnen erforderlich
erscheint.»
    «Oder es mein
Onkel für nötig hielt», sagte Holly Parker.
«Er war im Umgang ein wenig schwierig.»
    «Kann es sein,
dass diese Schwierigkeiten dazu geführt haben, dass Ihr erster
Aufenthalt bei Ihrem Onkel nach einem knappen Jahr beendet
wurde?»
    Holly Parker hob ihre
Hände vor die Brust und starrte einen Augenblick auf ihre
Fingernägel. «Ja, das kann gut sein, Commissario»,
sagte sie schließlich. «Aber das liegt alles lange
zurück, und an Einzelheiten kann ich mich nicht mehr
erinnern.»
    «Ich könnte
mir gut vorstellen, dass Sie sich auch nicht an Einzelheiten
erinnern wollen», sagte Tron.
    Holly Parkers
Kiefermuskulatur spannte sich, als sie Tron ansah. «Mit wem
haben Sie gesprochen?»
    «Mit Mr.
Peggotty», sagte Tron.
    «Was hat er
gesagt?»
    «Dass es gute
Gründe gegeben hat, das Zusammenleben mit Ihrem Onkel damals
zu beenden.»
    Holly Parker schwieg
und überprüfte abermals ihre Fingernägel. «Das
alles ist lange her», wiederholte sie. «Inzwischen sind
zehn Jahre vergangen.»
    «Sie haben ihn
gehasst, nicht wahr?»
    Holly Parker
lächelte ein trauriges Lächeln. «Hätten Sie
ihn an meiner Stelle nicht gehasst?»
    «An Ihrer Stelle
hätte ich getötet, wenn ich die Gelegenheit dazu gehabt
hätte», sagte Tron.
    «Aber Ihr
Verständnis würde Sie nicht daran hindern, mich hinter
Gitter zu bringen, falls ich es tatsächlich getan hätte.
Oder?»
    Tron schüttelte
den Kopf. «Hinter Gitter bringt Sie das Urteil eines
Gerichts, und ich bin kein Richter. Ich müsste Sie allerdings
verhaften, wenn die Verdachtsmomente ausreichten.» Tron
wiederholte seine Frage, weil sie ihm nur mit einer Gegenfrage
geantwortet hatte. Er wollte eine klare Antwort. «Haben Sie
ihn gehasst, Signorina Parker?»
    «Ja, ich habe
ihn gehasst», sagte Holly Parker ungeduldig. «Und ja -
vermutlich hätte ich ihn auch getötet», fügte
sie hinzu, «wenn ich eine Waffe und die Gelegenheit gehabt
hätte. Aber ich hatte weder das eine noch das
andere.»    
    «Sind Sie
sicher, Signorina Parker?»
    Holly Parker lachte.
«Natürlich nicht. Das sagt sich leicht
- ich
hätte ihn getötet. Aber ob ich es wirklich getan
hätte? Ich weiß es nicht.»
    «So war die
Frage nicht gemeint, Signorina Parker.»
    «Wie war sie
denn gemeint?»
    «Ich will die
Frage ein bisschen einfacher stellen», sagte Tron.
«Lassen wir die Gelegenheit zur Tat weg. Besitzen Sie eine
Waffe?»
    Ihre Antwort
ließ einen Moment zu lange auf sich warten.
«Nein», sagte sie.
    «Gut»,
erwiderte Tron, indem er sich erhob. «Dann bliebe nur noch
eines, Signorina Parker.»
    «Und
was?»
    «Wo in diesem
Haus wohnen Sie?»
    Diese Frage
überraschte sie. «Im Zwischengeschoss. Direkt unter
diesem Raum hier.» Sie wies mit dem Zeigefinger auf den
Fußboden.
    «Würden Sie
die Freundlichkeit haben, mir einen Blick in Ihr Zimmer zu
gestatten?»
    «Sie wollen mein
Zimmer sehen?»
    Tron
nickte.      
    «Warum?»
    «Sagen wir, um
mir ein Bild von Ihnen zu machen.»
    «Und was ist,
wenn ich mich weigere, Ihnen mein Zimmer zu
zeigen?»
    «Dann
müsste ich Sie daraufhinweisen», sagte Tron, «dass
es hier um Ermittlungen in einem Mordfall geht.»
    «Und Sie das
Recht haben, mein Zimmer zu sehen?»
    «So ist
es.»
    Holly Parker dachte
einen Moment nach und schien dann zu dem Schluss zu kommen, dass es
klüger war nachzugeben. «Kommen Sie», sagte sie
knapp.
    Das Zimmer im
Zwischengeschoss war klein, eisig und äußerst
spärlich eingerichtet. Vor dem

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